Ein Franzose im Hungerstreik für die Sterbehilfe

Bild: glomex

Er ist für das Recht auf Sterbehilfe im Hungerstreik: Mit dieser radikalen Geste will der unheilbar kranke Franzose Alain Cocq auf sein Schicksal und das anderer Menschen in Europa aufmerksam machen. In Kürze könnte der Tod des 57-Jährigen eintreten. Damit protestiert er gegen das Verbot aktiver Sterbehilfe in Frankreich, nachdem Präsident Emmanuel Macron sein Hilfsgesuch abgewiesen hatte.

Sein Leid nach mehr als 30 Jahren zu beenden, mache ihn „glücklich“, sagte Cocq in einer Videobotschaft, bevor er am vergangenen Wochenende damit begann, die Aufnahme jeglicher Nahrung und Flüssigkeiten zu verweigern. Von Schmerzen geplagt, akzeptierte Cocq zuletzt aber eine Palliativversorgung in der Uniklinik von Dijon, um „in Frieden gehen zu können“. 

Cocq leidet seit mehr als 30 Jahren unter einer unheilbaren Arterien-Erkrankung. Er konnte sein Bett nicht mehr verlassen, wurde künstlich ernährt und litt ständig unter großen Schmerzen – trotz vieler Operationen. Die Genkrankheit ohne Namen ist äußerst selten und wurde weltweit bisher nur bei fünf Menschen diagnostiziert. Zwei von ihnen sind bereits tot.

Im Ringen um Sterbehilfe zog Cocq in den 90er Jahren im Rollstuhl vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und warb für sein Anliegen in ganz Europa. Nachdem sich sein Zustand verschlechterte, bat er Präsident Macron, sich von einem Arzt eine tödliche Barbituratdosis geben lassen zu dürfen. 

„Ich stehe nicht über dem Gesetz“, antwortete ihm Macron in einem Brief, den Cocq auf Facebook veröffentlichte. Der 42-jährige Staatschef drückte ihm aber seinen „tiefen Respekt“ aus. Ursprünglich wollte Cocq sogar seinen Tod live auf Facebook übertragen, doch das Online-Netzwerk verhinderte dies.

Aktive Sterbehilfe ist in Frankreich verboten. Nach einer Gesetzesnovelle von 2016 dürfen Ärzte die Leiden unheilbar Kranker aber mit Medikamenten lindern, die einen vorzeitigen Tod zur Folge haben können. Zur Auflage macht das sogenannte Claeys-Leonetti-Gesetz aber, dass das Lebensende eines Menschen ohnehin unmittelbar bevorsteht. Dies traf auf Alain Cocq jedoch nicht zu – zumindest bisher nicht.

Der schwierige Fall hat die Debatte um Sterbehilfe wieder angefacht, die Europa spaltet. In Belgien, Luxemburg und den Niederlanden ist aktive Sterbehilfe durch den Arzt unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. In Deutschland kippten die Bundesverfassungsrichter Ende Februar das Verbot sogenannter „geschäftsmäßiger“ Sterbehilfe, weil es das Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu sehr einschränke.

Der Fall Cocq überlagerte in Frankreich zeitweise sogar die Berichterstattung über die massiv steigenden Corona-Zahlen. Im Fernsehen und in Online-Netzwerken zeigten viele Verständnis für den Schritt des unheilbar Kranken. Einzelne Palliativärzte äußerten dagegen ihr Unbehagen. „Ich verstehe das Leiden von Alain Cocq, aber ich habe das Gefühl, in eine Art Geiselhaft genommen zu werden“, sagte ein Mediziner unter Auflage der Anonymität der katholischen Zeitung „La Croix“.

„Ich verstehe seinen Wunsch zu gehen“, sagt dagegen François Lambert. Er ist der Neffe des französischen Krankenpflegers Vincent Lambert, der nach einem Motorradunfall elf Jahre lang im Koma lag und nach einem öffentlich ausgetragenen Rechtsstreit um sein Leben im Juli vergangenen Jahres starb.

Auf Wunsch eines Teils der Familie stellte die Klinik die lebenserhaltenden Maßnahmen für den 42-Jährigen ein. Lamberts streng katholische Eltern wollen dies nicht akzeptieren und haben den Arzt wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt. Am Freitag beginnt in Reims der Berufungsprozess.

Cocq ist in Frankreich zu einer ähnlichen Symbolfigur geworden wie Lambert. Doch anders als der Komapatient kann er sich selbst äußern und will bis zum letzten Atemzug kämpfen. „Wenn ich erst einmal tot bin, werde ich meine Würde wiedererlangt haben“, sagt Cocq.

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