Im Wirecard-Skandal hatte die britische „Financial Times“ schon früh über mutmaßliche Luftbuchungen berichtet und war dafür selbst ins Visier der Justiz geraten – jetzt hat die Staatsanwaltschaft München I ihre Ermittlungsverfahren gegen zwei Journalisten der Zeitung eingestellt. Mittlerweile wurde festgestellt, dass die Berichterstattung der Beschuldigten über den inzwischen insolventen Zahlungsdienstleister „grundsätzlich zutreffend“ sei, erklärte die Behörde. Ermittelt wird aber weiterhin, ob sogenannte Shortseller womöglich davon profitierten, dass der Wirecard-Aktienkurs nach den Berichten Anfang 2019 vorübergehend abrauschte.
Die Journalisten der „Financial Times“, Dan McCrum und Stefania Palma, hatten von Ende Januar 2019 an in mehreren Artikeln über mögliche Zahlungsunregelmäßigkeiten bei Wirecard in Asien geschrieben – vor allem über undurchsichtige Geschäfte von Wirecard-Tochterfirmen in Singapur, die zum Ziel gehabt hätten, tatsächliche Transaktionen vorzutäuschen.
Obwohl Wirecard die Anschuldigungen als verleumderisch zurückwies, ging die Aktie des einstigen Börsenlieblings auf Talfahrt: Nachdem sie Ende Januar 2019 noch bei mehr als 167 Euro notiert hatte, fiel sie im Februar 2019 auf unter hundert Euro.
Wirecard erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Im April 2019 folgte die deutsche Finanzaufsicht Bafin; sie erstattete Anzeige wegen des Verdachts „einer Short Attacke in Aktien der Wirecard AG“ und ermittelte unter anderem gegen die beiden Journalisten. Bei einer solchen Attacke wetten Spekulanten auf fallende Kurse und verdienen dann daran.
Laut Staatsanwaltschaft untersuchte die Bafin auch, „inwieweit vor Veröffentlichung der Berichte durch weitere Beteiligte sogenannte Shortpositionen aufgebaut wurden“. Dabei sei die Bafin zu dem Schluss gekommen, dass Anhaltspunkte bestünden, dass die Beschuldigten zum einen bewusst eine „ratierliche Berichterstattung“ gewählt hätten – also dass die Artikel quasi peu à peu erschienen – obwohl die Gesamtheit der Artikel bereits vorher hätte bekannt gewesen sein müssen. Zudem bestand demnach der Verdacht, dass die Beschuldigten mit Shortsellern zusammengearbeitet hätten.
Allerdings ließen sich nach Angaben der Ermittler sowohl in Bezug auf die Berichterstattung als auch das mutmaßliche Ausnutzen von Insiderinformationen „keine hinreichenden Anhaltspunkte“ feststellen. Die Artikel seien „jedenfalls vom Standpunkt der damaligen Informationslage aus weder falsch noch irreführend“ gewesen, erklärte die Staatsanwaltschaft.
Auch „unmittelbare, konkrete Kontakte mit Shortsellern“ hätten sich im Fall der beiden „Financial Times“-Journalisten nicht ergeben. Die Bafin erklärte, dass sie „keine Einwände“ dagegen erhebe, die Marktmanipulationsverfahren einzustellen.
Zugleich betonte die Bafin am Donnerstagabend, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Shortseller weiterlaufen. Den Ermittlern in München zufolge gibt es Hinweise, „dass gegebenenfalls weitere Personen, die sich im Umfeld der Beschuldigten befanden oder vom Erscheinen der Berichte wussten, die entsprechenden Informationen weitergegeben haben“.
Wirecard soll jahrelang seine Bilanzen gefälscht haben. Insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die auf Konten in Asien liegen sollen, sind nicht auffindbar. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun wurde verhaftet, der frühere Finanzchef Jan Marsalek befindet sich auf der Flucht.
Der Fall wird wahrscheinlich einen Untersuchungsausschuss des Bundestags beschäftigen. Er soll mögliche Missstände und Fehlverhalten in Regierung und Verwaltung im Zusammenhang mit dem Finanzskandal aufklären.