Fall Nawalny löst schlimme Erinnerungen in Salisbury aus

Symbolbild: Gift in einer Flasche
Symbolbild: Gift in einer Flasche

Der Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny, der in der Berliner Charité um sein Leben kämpft, weckt in dem britischen Städtchen Salisbury schmerzhafte Erinnerungen. Die Bewohner der Kleinstadt im Südwesten Englands wissen nur zu gut um die zerstörerische Kraft des Kampfstoffs Nowitschok, der bei Nawalny nachgewiesen wurde. Im März 2018 wurde mit dem gleichen Gift in Salisbury ein Anschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia begangen. 

Beide entgingen nur knapp dem Tod und waren wochenlang ans Krankenhausbett gefesselt. Vier Monate später kam die Obdachlose Dawn Sturgess ums Leben, nachdem sie mit dem Gift in Berührung gekommen war. Ihr Freund Charlie Rowley hatte ihr eine Parfümflasche geschenkt, die er gefunden hatte und in der sich offenbar das Gift befand.  

Die britische Regierung machte den russischen Geheimdienst für den Anschlag verantwortlich. Moskau bestreitet die Vorwürfe bis heute, und die Menschen in Salisbury blieben mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück.

Als er von Nawalnys Vergiftung gehört habe, sei er „am Boden zerstört“ gewesen, erzählte Charlie Rowley dem Sender ITV. „Ich dachte, es wäre vorbei, aber das ist es eindeutig nicht.“ Auch er selbst war damals mit dem Gift in Kontakt gekommen und lag drei Wochen lang im Krankenhaus. Noch lange nach dem Anschlag habe er körperliche und psychische Probleme gehabt, erzählte er. Und er habe nicht das Gefühl, dass in dem Fall Gerechtigkeit gewaltet habe. 

Skripal und seine Tochter leben heute an einem unbekannten Ort unter Polizeischutz. Die Bank mitten in Salisbury, auf der sie damals zusammengesunken gefunden wurden, war im Zuge der Ermittlungen abgebaut worden. Heute erinnert nur noch ein verfärbter Fleck auf dem Asphalt an das grausame Geschehen.

Die Widerstandsfähigkeit der Menschen in Salisbury sei in den vergangenen zweieinhalb Jahren auf eine harte Probe gestellt worden, sagt der Vikar der St.-Thomas-Kirche, Kelvin Inglis. „Es war traumatisch.“ Genau wie Rowley hofft auch Inglis auf Gerechtigkeit: „Ich warte immer noch sehnsüchtig auf den Tag, an dem die Schuldigen vor Gericht gestellt werden.“

Der Kriminalbeamte Nick Bailey war einer der Ersten, die das Haus der Skripals nach der Attacke betraten – und hätte dafür beinahe mit seinem Leben bezahlt. Das Haus steht heute leer, die Fenster sind mit Plastikfolie verhängt, hinter der Eingangstür stapelt sich gut sichtbar von außen die Post. Nur der Türgriff wurde ersetzt, auf dem die Täter damals vermutlich das Gift aufbrachten.

Auch Bailey kann die Ereignisse von damals nicht vergessen. Als Premierminister Boris Johnson die russische Regierung nun im Fall Nawalny bei Twitter scharf anging, schrieb Bailey in dem Onlinedienst: „Ich hätte so viel zu diesem Tweet zu sagen. Aber ich kann und werde es nicht tun.“ Einen Tag später entschuldigte er sich für seinen „zweideutigen Tweet“. Er habe sich von seinen Gefühlen mitreißen lassen.

Seine Frau Sarah wurde deutlicher in ihrer Kritik an der britischen Regierung, der seit langem vorgeworfen wird, die Augen vor fragwürdigen russischen Geschäften in Großbritannien und russischen Parteispenden an die konservative Regierungspartei zu verschließen. Seit den Ereignissen in Salisbury seien fast zweieinhalb Jahre vergangen, und noch immer gebe es keine Gerechtigkeit für die Betroffenen, schrieb sie auf Twitter. Natürlich handele die britische Regierung richtig, wenn sie im Fall Nawalny die Tat verurteile. „Aber wird auch diese Tat in zweieinhalb Jahren vergessen sein? So fühlt es sich für uns an.“

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