Ein verbales Feuerwerk hatten Beobachter vorhergesagt, aber es wurde eher eine verbale Schlacht. In ihrem ersten Fernsehduell lieferten sich US-Präsident Donald Trump und sein Herausforderer Joe Biden 35 Tage vor der Wahl chaotische Wortgefechte. Trump versuchte seinen Rivalen durch ständige Unterbrechungen aus dem Konzept zu bringen, Biden antwortete mit scharfen Attacken und einem „Halt den Mund, Mann!“, das in die Geschichte der Präsidentschaftsdebatten eingehen dürfte.
Experten stuften den früheren Vizepräsidenten und Kandidaten der oppositionellen Demokraten rasch als Gewinner des hitzigen Duells ein – und die Fernsehzuschauer als Verlierer, weil kaum eine geordnete und erhellende Diskussion stattgefunden hatte.
„Das war die chaotischste und am meisten von Angriffen geprägte Präsidentschaftsdebatte unserer Geschichte“, urteilte der Politikwissenschaftler Mitchell McKinney von der Universität von Missouri. Und Constanze Stelzenmüller von der Denkfabrik Brookings Institution konstatierte nüchtern: „Die Debatte war ein Abbild des hyperpolarisierten Amerikas: Unterbrechungen, Beleidigungen, Lügen – aber vor allem durch den Präsidenten.“
Denn der in Umfragen hinterherhinkende Trump versuchte gar nicht erst, in der in Cleveland im Bundesstaat Ohio ausgetragenen Debatte präsidentiell aufzutreten. Er fiel seinem Rivalen pausenlos ins Wort, mokierte sich über dessen häufiges Maskentragen in der Corona-Pandemie – „die größte Maske, die ich jemals gesehen habe“ – und scheute auch vor Tiefschlägen wie Angriffen auf die Familie des früheren Vizepräsidenten nicht zurück.
Das heißt nicht, dass Biden durch vornehme Zurückhaltung geglänzt hätte – ganz im Gegenteil: Der 77-Jährige teilte hart aus und bezeichnete Trump als „Lügner“, „Rassisten“ und „Hündchen“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Neben seiner Aufforderung an Trump, den Mund zu halten, sorgte er auch mit der Äußerung „Es ist schwer, bei diesem Clown zu Wort zu kommen“ für Aufsehen – auch wenn er schnell hinterherschob: „Entschuldigung, bei dieser Person“.
Zwar ließ sich der einstige Stellvertreter von Präsident Barack Obama immer wieder von Trump übertönen. Mit seinem kämpferischen Auftritt widerlegte Biden aber alle Kritiker und Zweifler, die gemutmaßt hatten, der weißhaarige Politik-Veteran werde bei dem Aufeinandertreffen mit dem politischen Bulldozer Trump hoffnungslos unter die Räder kommen.
Zumal der 77-Jährige, von Trump häufig als „schläfriger Joe“ verspottet, sich keinen jener Aussetzer leistete, für die er berüchtigt ist. „Joe Biden hat einen größeren Fauxpas oder Stolperer vermieden, der Trumps Darstellung gestützt hätte, dass Biden zu alt oder nicht fit genug für das Präsidentenamt ist“, sagte Politikwissenschaftler McKinney der Nachrichtenagentur AFP. Trump dagegen habe geradezu „bockig“ gewirkt.
Mit seinem Auftritt dürfte sich der Präsident keinen Gefallen getan haben: Aggressivität war erwartet worden, aber dass der 74-Jährige so weit gehen würde, hatte wohl kaum jemand geahnt. Zumal der Rechtspopulist sich weigerte, rassistische Gruppen zu verurteilen, und sogar der rechtsextremen Gruppierung Proud Boys zurief: „Haltet euch zurück und haltet euch bereit.“
Allerdings ist unklar, welchen Einfluss die Debatte auf den Ausgang der Wahl haben wird. Bis zum 3. November sind noch zwei weitere TV-Duelle zwischen den Präsidentschaftskandidaten geplant, bei denen Trump sich fangen könnte – auch wenn sich die Forderungen mehrten, die Debatten angesichts der Zerstörungsstrategie des Präsidenten kurzerhand zu streichen.
Zugleich haben die Fernsehdebatten nur einen sehr begrenzten Einfluss auf die Wahl: Die meisten Wähler haben ihre Entscheidung bereits getroffen, und Trump-Anhänger dürften sich von dem Auftritt ihres Idols kaum abschrecken lassen.
„Die Ironie ist, dass diese Debatte in einem Land, in dem es laut Umfragen kaum noch Unentschiedene gibt, anscheinend das Bild der Kandidaten in keinem der beiden Lager wirklich verändert hat“, sagt Politikexpertin Stelzenmüller. „Wir haben gesehen, was wir schon kennen.“