Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat auf Versäumnisse bei der Gestaltung der deutschen Vereinigung vor 30 Jahren hingewiesen. „Einen der größten Mängel haben wir bei der Anerkennung der beruflichen Qualifikation von Menschen aus der DDR“, sagte der damalige Bundesinnenminister den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Freitag. „Wir haben die Fähigkeiten vieler Menschen unterschätzt, das hat sich sicherlich auf das Selbstwertgefühl der Ostdeutschen ausgewirkt.“
Schäuble rief die Bürger dazu auf, mehr Interesse zu zeigen an den Lebensleistungen der Menschen in Ostdeutschland und an der Geschichte der DDR – „dann wächst im Osten auch das Selbstbewusstsein“.
Die Skepsis vieler Ostdeutscher gegenüber der Politik erklärte Schäuble auch mit Verletzungen aus unterschiedlichen Erfahrungen mit der Wiedervereinigung und ihren Folgen. „In dieser Stimmung lassen sich auch Ressentiments gegenüber Menschen aus anderen Teilen der Welt leichter mobilisieren, denn Zuwanderung dieser Art war man praktisch gar nicht gewöhnt“, sagte er. Die Frage, ob Rechtsextremismus im Osten eine größere Herausforderung sei als im Westen, verneinte er aber.
Auf die Frage, was die DDR in das wiedervereinigte Deutschland eingebracht habe, sagte Schäuble: „Menschen – mit all ihren Facetten.“ Mit Blick auf die Gesellschaft nannte er die veränderte Rolle der Frauen, die in der DDR schon in stärkerem Maße ins Berufsleben integriert gewesen seien. „Es gab dort bessere Möglichkeiten, Familie und Erwerbsarbeit zu verbinden – wenn auch staatlich vorgeschrieben.“
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit Blick auf die Vereinigung vor 30 Jahren, dass er gelegentlich der Notgemeinschaft in der DDR gegen die SED-Regierung nachtrauere. Das Merkwürdige sei, dass „selbst bei Menschen wie mir, der ich der DDR keine Träne nachweine, mitunter ein ganz unpolitisches Gefühl des Abschieds oder einer irgendwie kaum erklärbaren Traurigkeit entsteht“, sagte Gauck.
„In dieser Zeit der Unterdrückung haben Menschen ihre kleinen Gegenwelten zur Unterdrückung gesucht und gebaut, und dann ist vielfach eine Wärme und eine Intensität des Miteinanders entstanden, die die Kälte der Diktatur erträglich machten“, sagte er. „Diese Nähe und Intensität gab es dann später so nicht mehr.“
Auch Gauck sprach in dem Interview die Enttäuschung vieler Ostdeutscher nach der Vereinigung an. Entstanden sei „eine Frustbewegung, die so tut, als wären die Westdeutschen über uns gekommen“. Dabei sei es aber der Wille der Ostdeutschen gewesen, der diese schnelle Einigung herbeigeführt habe. Deswegen sei es „völlig verfehlt, von ‚Übernahme‘ zu sprechen“, sagte Gauck. „Aber zweifellos haben viele durch diese Art des Übergangs auch an Handlungsmacht verloren.“