Ungarn und Polen haben den Streit um die Kürzung von EU-Geldern bei Rechtsstaatsverstößen auf die Spitze getrieben. Sie legten ihre Vetos gegen den europäischen Haushalt und den Corona-Hilfsfonds ein. Ohne schnelle Einigung steuert die EU damit in eine schweren Krise. Was das bedeutet und wie es weitergehen könnte:
Geht der EU ab Januar das Geld aus?
Budapest und Warschau haben den 1074 Milliarden Euro schweren EU-Finanzrahmen für die kommenden sieben Jahre blockiert. Ab Januar müsste die EU dann mit einem Nothaushalt arbeiten. Dann stünde pro Monat nur noch ein Zwölftel des Budgets des Jahres 2020 zur Verfügung.
Dies gilt allerdings nur für die auf mehrere Jahre angelegten Agrarhilfen sowie für Verwaltungsausgaben. Kein frisches Geld gäbe es mehr bei den wichtigen Regionalhilfen, bei Forschung oder dem Studentenaustauschprogramm Erasmus.
Verzögert sich der Corona-Hilfsfonds?
Der Fonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise ist 750 Milliarden Euro schwer. 390 Milliarden Euro sollen dabei als Zuschüsse fließen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Auszahlungen aus dem eigentlichen Hilfsprogramm wurden wegen nötiger Genehmigungsverfahren schon bisher erst ab dem zweiten Quartal erwartet.
Zehn Prozent der Zuschüsse – also 39 Milliarden Euro – sollten laut Diplomaten aber über ein Sofortprogramm zum 1. Januar ausgezahlt werden. Gibt es keine rechtliche Grundlage, ist das nicht möglich.
Schneiden sich Polen und Ungarn nicht ins eigene Fleisch?
Polen und Ungarn sind die größten Profiteure des EU-Haushalts. Warschau bekam 2019 gut zwölf Milliarden Euro mehr aus dem EU-Budget als es einzahlte. Bei Ungarn waren es fünf Milliarden. Auch beim Corona-Hilfsfonds geht es für beide um bedeutende Summen. Polen stehen 23 Milliarden Euro an Zuschüssen zu und Ungarn 6,2 Milliarden Euro.
Aus EU-Kreisen heißt es deshalb, die Blockade sei „Theater“. Budapest und Warschau wollten den Rechtsstaatsmechanismus „so lange hinauszögern wie möglich. Aber letzten Endes werden sie doch zustimmen.“
Was könnte das Kalkül von Polen und Ungarn sein?
Auf den Corona-Hilfsfonds sind vor allem stark von der Pandemie getroffene Länder im Süden Europas wie Italien und Spanien dringend angewiesen. Womöglich hoffen Budapest und Warschau, dass die Südländer sich bei der Rechtsstaatsfrage auf ihre Seite schlagen, damit die Corona-Hilfen schnell fließen.
Anzeichen dafür gibt es bisher aber keine. Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) verweist zudem darauf, dass wiederum andere EU-Länder „ohne diesen Rechtsstaatsmechanismus nicht bereit sind, dem Aufbauprogramm und dem mehrjährigen Finanzrahmen zuzustimmen“.
Wie geht es jetzt weiter?
Der Ball liegt im Feld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die einen Kompromiss im Nervenkrieg um Corona-Milliarden und demokratische Grundwerte finden muss. Am Donnerstag tagen die EU-Staats- und Regierungschefs in einer Video-Konferenz. „Davor laufen auf höchster Ebene die Telefone heiß“, sagt ein EU-Diplomat.
Welche Optionen gibt es?
Ein Ansatz wäre, wie von Polen gefordert „Garantien“ zu geben, dass der Rechtsstaatsmechanismus nicht dazu führt, die nationale Souveränität auszuhebeln. Ob dies Warschau reichen und dann auch Ungarn einlenken würde, ist aber alles andere als sicher.
Skeptisch wird auch die Möglichkeit gesehen, den Kompromiss zu dem Mechanismus nochmals anzupassen. Das Europaparlament will sich darauf keinesfalls einlassen. Die Abgeordneten würden „nicht zustimmen, wenn wir keinen verbindlichen Rechtsstaatsmechanismus haben“, warnt der Fraktionschef der Konservativen, Manfred Weber (CSU).
Eine Strategie könne auch sein, den Rechtsstaatsmechanismus abschließend anzunehmen. Denn hier reicht bei den Mitgliedstaaten ein Mehrheitsbeschluss. „Die Veto-Drohung wäre damit neutralisiert“, sagt Eulalia Rubio vom Delors-Institut. Polen und Ungarn hätten dann mit einer weiteren Haushaltsblockade nichts mehr zu gewinnen.
Als letztes Mittel könnte auch erwogen werden, den Corona-Fonds aus dem Haushalt zu lösen und als zwischenstaatliche Finanzierungsquelle der anderen EU-Staaten aufzustellen. Dann wären Polen und Ungarn außen vor. Dies ist aber rechtlich und politisch kompliziert und würde einige Zeit dauern.