Mitten in der zweiten Welle der Corona-Pandemie ist der Streit um die Bindung von EU-Geldern an rechtsstaatliche Prinzipien eskaliert. Ungarn und Polen blockierten am Montag per Veto den weiteren Zustimmungsprozess zum EU-Haushalt und zum Corona-Wiederaufbaufonds. Die ab Anfang kommenden Jahres geplanten Auszahlungen aus dem 1,8 Billionen Euro schweren Finanzpaket könnten sich damit verzögern. EU-Vertreter sprachen von einer schweren Krise.
Die EU-Botschafter hätten am Montag grünes Licht für wesentliche Teile des Haushaltspakets und des Corona-Hilfsfonds geben sollen. Ungarn und Polen verweigerten die Zustimmung zu einem Beschluss zur Vergrößerung des EU-Haushaltsrahmens für den 750 Milliarden Euro schweren Fonds zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Auch beim EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahre machten Budapest und Warschau „Vorbehalte“ geltend.
„Ungarn hat sein Veto gegen das Budget eingelegt“, schrieb ein Sprecher von Ungarns Regierungschef Viktor Orban auf Twitter. „Wir können den Plan, Rechtsstaatskriterien an Haushaltsentscheidungen zu knüpfen, in seiner jetzigen Form nicht akzeptieren.“ Denn dieser verstoße gegen die Beschlüsse des EU-Gipfels vom Juli.
Die Frage, ob EU-Mittel mit der Achtung der Rechtsstaatlichkeit in Verbindung gebracht werden könnten, sei „grundlegend für die Zukunft Polens“, sagte der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro. Für Polen gehe es darum, ob es ein souveränes Land innerhalb der EU sei oder „der politischen und institutionalisierten Versklavung unterworfen wird“.
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich im Juli nach tagelangen Verhandlungen auf das billonenschwere Finanzpaket zum Haushalt und Corona-Wiederaufbaufonds geeinigt. Die Gipfel-Einigung enthielt zudem einen Kompromiss, um EU-Gelder bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit künftig zu kürzen.
Dieser war aufgrund des Widerstands von Polen und Ungarn in vielen Punkten aber vage formuliert. Beide Länder lehnten später eine mit dem Europaparlament dazu ausgehandelte Einigung auf einen konkreten Rechtstext ab.
Die entsprechende EU-Verordnung wurde nun bei der Sitzung der Botschafter angenommen, wie ein Sprecher der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Für sie war nur eine qualifizierte Mehrheit notwendig. Budapest und Warschau konnten sie damit nicht verhindern, legten deshalb aber ihr Veto bei dem Beschluss zur Finanzierung des Corona-Hilfsfonds ein.
Aus dem Europaparlament kam deutliche Kritik. „Orban nimmt die ganze EU als Geisel“, schrieb der Grünen-Europaabgeordnete Rasmus Andresen auf Twitter. Nun müsse Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als Vertreterin der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einschreiten.
Die Rechtsstaatlichkeit müsse auf alle EU-Länder Anwendung finden, schrieb der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU). „Ganz Europa in der schlimmsten Krise seit Jahrzehnten die Krisenfinanzierung zu verweigern, ist unverantwortlich.“
„Wir haben mit Blick auf die zweite Pandemie-Welle und die schweren wirtschaftlichen Schäden bereits viel Zeit verloren“, warnte der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß, der die Haushaltsverhandlungen für die Mitgliedstaaten führt. „Entscheidend ist, dass das Gesamtpaket jetzt rasch verabschiedet wird, sonst steht die EU vor einer ernsten Krise.“
EU-Vertreter gingen davon aus, dass sich nun auch die Staats- und Regierungschefs mit dem Konflikt bei ihrem Video-Gipfel am Donnerstag befassen, bei dem es um den Kampf gegen die Corona-Pandemie geht. Ein Diplomat sagte, Bundeskanzlerin Merkel werde voraussichtlich davor in Gesprächen mit Orban und dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki nach Lösungsmöglichkeiten suchen.