Es war das erste internationale Strafverfahren der Geschichte: Am Freitag kommender Woche jährt sich der Beginn des Nürnberger Prozesses zum 75. Mal. 21 ranghohe Vertreter des NS-Regimes mussten sich wegen der Vorbereitung eines Angriffskriegs sowie Kriegs- und Menschheitsverbrechen verantworten. Der Prozess dauerte rund zehn Monate. Fragen und Antworten:
WIE WAR DER PROZESS KONZIPIERT?
Schon während des Zweiten Weltkriegs bereiteten die Alliierten die Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher nach einer deutschen Niederlage vor. Maßgeblicher Bestandteil der Planungen war ein öffentlichkeitswirksamer Prozess gegen die Spitzen des NS-Regimes.
Nur sechs Monate nach dem Ende der Kampfhandlungen hatten Ankläger der Siegermächte hunderttausende Zeugenaussagen sowie zigtausende Beweismittel zusammengetragen. 21 Männer, die von den Alliierten bei Kriegsende gefangen worden waren, saßen auf der Anklagebank. Nominell ranghöchster Beschuldigter war Hermann Göring, zeitweise eine der einflussreichsten Nazigrößen. Dazu kamen Mitglieder der Reichsregierung, der Nazipartei, Militärs sowie führende Köpfe des deutschen Zwangsarbeiter-, Terror- und Besatzungsapparats.
WARUM NÜRNBERG?
Ein Teil der Überlegungen war schlichtweg pragmatischer Natur. So war Nürnberg nicht in dem Maße kriegszerstört wie andere deutsche Städte. Es standen dort geeignete Justizgebäude zur Verfügung. Aber die Wahl hatte auch eine symbolische Komponente: Die alte Kaiserstadt spielte in der NS-Propaganda als Austragungsort der Reichsparteitage eine zentrale Rolle. Auch die berüchtigten antisemitischen sogenannten Rassegesetze wurden dort 1935 verkündet.
WIE LIEF DER PROZESS AB?
Der Prozess begann am 20. November 1945, als Richter fungierten vier Juristen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion. Auch die Anklage war mit je einem Vertreter der Siegermächte besetzt. In seinem berühmten Eingangsvortrag sprach der US-Ankläger Robert Jackson davon, dass die menschliche Zivilisation selbst der eigentliche Ankläger des Verfahrens sei.
Verantworten mussten sich die Angeklagten wegen vier Vorwürfen: Verschwörung zum Angriffskrieg, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie wurden von deutschen Anwälten verteidigt, alle plädierten auf nicht schuldig. Zu den Zeugen gehörten neben überlebenden Opfern des Naziterrors auch führende Organisatoren des Massenmords – etwa der frühere Kommandant des Lagers Auschwitz, Rudolf Höß.
Der Prozess dauerte 218 Verhandlungstage und endete am 1. Oktober 1946 mit zwölf Todesurteilen, eines verhängt in Abwesenheit. Dazu kamen drei lebenslange Haftstrafen, vier lange Gefängnisstrafen und drei Freisprüche. Zehn Todesurteile wurden rund eine Woche später am 16. Oktober vollstreckt. Göring beging einige Stunden vorher in seiner Gefängniszelle Suizid mit einer Giftkapsel.
WELCHE WIRKUNG HATTE DER PROZESS?
Von Anfang hatten die Alliierten den Prozess mit Blick auf eine breite öffentliche Wirkung konzipiert. Filmberichte wurden zur Aufklärung der Bevölkerung in den Kinos in den damals üblichen Wochenschauen gezeigt. Schnell stand der Prozess dabei unter dem Eindruck grauenvoller Zeugenberichte aus deutschen Todeslagern und Filmaufnahmen, die alliierte Soldaten bei deren Befreiung gemacht hatten. Der US-Gefängnispsychologe Gustave Gilbert berichtete, auch die Angeklagten hätten teils ungläubig reagiert.
WIE WIRD DER PROZESS HEUTE BEWERTET?
Der Nürnberger Prozess gilt als ein Meilenstein internationaler Strafgerichtsbarkeit. Gleichwohl zogen Historiker später oft ein eher gemischtes Fazit: In Deutschland verstärkte er die Tendenz, Schuld für NS-Verbrechen auf einige wenige Spitzenfunktionäre zu schieben und ansonsten einen schnellen Schlussstrich zu fordern.
Zwar folgten weitere Verfahren der Alliierten gegen nachgeordnete Führungsebenen und Vertreter von besonders tief in NS-Verbrechen verstrickten Berufsgruppen. Aber diese sogenannten zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse wurden kaum beachtet. Auch blieben alle Prozesse der Alliierten für viele letztlich nur willkürliche „Siegerjustiz“.
Dazu kam noch, dass die Alliierten den Kern des Verfahrens auf die Vorwürfe der Verschwörung gegen den Frieden legten, weil sie vor allem auf einen außenpolitischen Abschreckungseffekt setzten. Die Judenvernichtung wurde als ein Menschheitsverbrechen unter vielen eingeordnet. Tatsächlich wurde die Monstrosität des Holocausts in der breiten Öffentlichkeit erst ab den 60er Jahren realisiert.