Brexit-Handelsabkommen: Von der Leyen und Johnson sehen noch „erhebliche Differenzen“ in zentralen Fragen

Symbolbild: Europäische Union
Symbolbild: Europäische Union

Im Ringen um ein Post-Brexit-Handelsabkommen läuft den Unterhändlern von EU und Großbritannien die Zeit davon. Nach acht Monaten ergebnisloser Verhandlungen kamen die Delegationen beider Seiten am Sonntag in Brüssel zur mutmaßlich letzten Verhandlungsrunde zusammen. Zeit haben sie bis Montagabend – dann wollen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Großbritanniens Premierminister Boris Johnson Bilanz ziehen. Beide hatten am Samstag von fortbestehenden „erheblichen Differenzen“ gesprochen. 

Beide Seiten arbeiteten „hart daran, einen Deal zu finden“, sagte der britische Chefunterhändler David Frost nach seiner Ankunft in Brüssel am Sonntagmittag vor Journalisten. „Wir werden sehen, was in den heutigen Verhandlungen passiert.“ Ein EU-Vertreter sagte, es sei mit langwierigen Verhandlungen zu rechnen. 

Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende bleibt es aber noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Diese Übergangsphase wollten beide Seiten eigentlich nutzen, um ein Handelsabkommen auszuhandeln. Die Gespräche kommen aber seit Monaten kaum voran. Inzwischen ist die Zeit für eine rechtzeitige Ratifizierung eines möglichen Abkommens bis zum 1. Januar schon äußerst knapp.

In einem Telefonat am Samstag begrüßten von der Leyen und Johnson laut einer gemeinsamen Erklärung Fortschritte „in vielen Bereichen“. Allerdings gebe es „nach wie vor erhebliche Differenzen in drei entscheidenden Fragen“. Dabei gehe es um gleiche Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle eines künftigen Abkommens und die Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern. Von der Leyen und Johnson betonten, „dass keine Einigung möglich ist, wenn diese Fragen nicht gelöst werden“. 

„Wir werden sehen, ob es einen Weg voran gibt“, schrieb EU-Chefunterhändler Michel Barnier nach dem Telefonat auf Twitter. Der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß lud Barnier nach Angaben eines Sprechers ein, die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten am Montagmorgen um 07.30 Uhr über den Verhandlungsstand zu informieren.

Der britische Umweltminister George Eustice räumte im Sender Sky News ein, dass sein Land in einer „schwierigen Position“ sei. „Wir werden weiter an diesen Verhandlungen arbeiten, solange bis es keinen Sinn mehr hat, weiterzumachen“, sagte er.

Die Bundesregierung hatte zuvor die Fortsetzung der Gespräche begrüßt. Am Freitagabend sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, dass Deutschland ein Abkommen unterstütze, „aber eben auch nicht um jeden Preis“. 

Im EU-Parlament wuchs die Sorge, dass die rechtzeitige Ratifizierung eines Handelsabkommen nicht mehr möglich sein könnte. „Dieses Wochenende ist wirklich allerletzte Eisenbahn für einen möglichen Vertrag“, mahnte der Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD). „Die Zeit läuft ab“, twitterte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU). „Inmitten der Covid-Krise schulden wir es unseren Bürgern und Firmen, eine Vereinbarung zu finden“ – „jetzt oder nie“. 

Aus informierten Kreisen hieß es mit Blick auf ein mögliches Verhandlungsergebnis, es sei „alles möglich“. Die drei strittigen Themen seien unmittelbar mit der Absicht Großbritanniens verbunden, die nationale Souveränität als Priorität zu bewahren und mit der Angst Europas vor einem britischen „Schmarotzertum“, sagte eine Quelle der Nachrichtenagentur AFP. 

Johnson hat seinen Landsleuten versprochen, dass Großbritannien unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen „prosperieren“ werde. Kritiker warnten den Regierungschef jedoch vor einem No-Deal-Brexit. Ein solcher werde „massive internationale Auswirkungen haben“, sagte der Ex-Premier und frühere Vorsitzende der Labour-Partei, Gordon Brown, bei Sky News. Großbritannien würde dann in einen „Wirtschaftskrieg mit Europa“ eintreten, „der uns sehr teuer zu stehen kommen würde“. 

Die Einigkeit, mit der die EU-Mitgliedstaaten sich im Verlauf der Brexit-Verhandlungen hinter ihren Chefunterhändler Barnier gestellt haben, hat viele Beobachter überrascht. Zuletzt zeigten sich auf Seiten der EU allerdings Risse, vor allem bei der strittigen Frage der Fangquoten in der Fischerei. Diese sind vor allem Küstenstaaten wie Frankreich, Spanien oder Dänemark wichtig. Paris hatte am Freitag sogar mit einem Veto gegen ein Handelsabkommen gedroht, wenn es hier zu keinem akzeptablem Kompromiss komme. 

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