Chaotischer Brexit wird immer wahrscheinlicher

Brexit, London
Brexit, London

Zehn Tage vor dem Ende der Brexit-Übergangszeit wird ein ungeordnetes Ausscheiden Großbritanniens aus dem europäischen Binnenmarkt immer wahrscheinlicher. Die Unterhändler beider Seiten führten zwar am Montag in Brüssel die Gespräche über ein Handelsabkommen fort, doch das EU-Parlament erklärte die rechtzeitige Ratifizierung eines möglichen Deals für nicht mehr machbar. Auch für eine vorläufige Anwendung einer möglichen Einigung wird die Zeit knapp.

Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten, bis zum Jahresende bleibt das Land aber noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Um ein Ausscheiden mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft zu vermeiden, sollte innerhalb dieser Übergangszeit ein Handelsabkommen ausgehandelt werden. Die Verhandlungen kommen aber seit Monaten nicht voran.

Eine vom EU-Parlament gesetzte Frist für einen fertigen Text lief am Sonntagabend ab. „Es ist jetzt unmöglich, dass das Parlament einen Deal vor Ende des Jahres bewertet“, erklärte dazu der Chef der Konservativen, Manfred Weber (CSU). Es werde keine Ratifizierung innerhalb der Übergangsphase mehr geben, betonte der Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD).

Sollte in den kommenden Tagen doch noch eine Einigung zustande kommen, könnte diese unter Umständen zwar auch vorläufig in Kraft treten und erst nachträglich ratifiziert werden. Allerdings läuft auch hierfür die Zeit davon: Aus EU-Kreisen hieß es, eine vorläufige Anwendung eines Abkommens vom 1. Januar an sei nur machbar, wenn es bis Weihnachten eine Einigung gebe.

Denn selbst für ein provisorisches Inkrafttreten eines Abkommens sind einige Tage für juristische Prüfungen und Übersetzungen nötig. Trotz allem wird diese vorläufige Anwendung zumindest im EU-Parlament nach AFP-Informationen mittlerweile als wahrscheinlichstes Szenario eingestuft.

Eine erneute Verlängerung der Übergangszeit wäre zwar „das Beste“, erklärte der SPD-Politiker Lange. Doch dies gilt als höchst unwahrscheinlich. Großbritannien hatte im Sommer jeglichen Aufschub ausgeschlossen, nachdem der Brexit sich zuvor bereits mehrmals um Monate verzögert hatte.

Alternativ droht ein „No-Deal-Szenario“, bei dem ab dem 1. Januar Zölle und weitere Handelsbarrieren an den Grenzen zum Vereinigten Königreich Realität würden. Gekappte Reiseverbindungen zwischen Großbritannien und dem Rest Europas wegen der Furcht vor der Ausbreitung einer mutierten Variante des neuartigen Corona-Virus lieferten dafür am Montag bereits einen Vorgeschmack.

Die festgefahrenen Verhandlungen zwischen Brüssel und London wurden trotz allem fortgesetzt. Aus britischen Regierungskreisen hatte es am Sonntagabend geheißen, es gebe noch „erhebliche Unstimmigkeiten“. „Wir werden aber weiterhin alle Wege zu einer Einigung ausloten.“

Hauptstreitpunkte sind seit Monaten faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle eines künftigen Abkommens und der Zugang zu britischen Gewässern für Fischer aus der EU. Während es bei den ersten beiden Knackpunkten zuletzt wesentliche Fortschritte gegeben hatte, blieb die Fischerei-Frage bis zuletzt schwierig.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier hatte nach Diplomatenangaben zuletzt angeboten, dass die EU-Fischer nach einer siebenjährigen Übergangszeit auf ein Fünftel des Werts ihres Fischfangs in britischen Gewässern verzichten. Großbritannien fordert aber, dass die EU-Fischer bei einer Übergangszeit von drei Jahren 60 Prozent abgeben sollen.

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