Nur noch gut eine Woche bleibt Großbritannien im EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Zum Jahresende wird damit der auf dem Papier bereits im Frühjahr vollzogene Brexit endgültig Realität. Ein Abkommen, um die wirtschaftlichen Folgen abzumildern, lässt allerdings weiter auf sich warten. Die Verhandlungspositionen Londons und Brüssels liegen insbesondere beim Thema Fischerei weiterhin auseinander. Wie es weiter gehen könnte:
Rechtzeitiges Abkommen
Ein Handelsabkommen muss vom britischen und vom EU-Parlament ratifiziert werden. Die EU-Abgeordneten hatten deshalb Sonntagabend als Deadline für einen Durchbruch gesetzt. Da dieser ausblieb, schließen die Parlamentarier eine rechtzeitige Ratifizierung eines Abkommens mittlerweile aus. Vollkommen unmöglich ist dies dadurch nicht, auch angesichts der derzeitigen Verhandlungsdynamik ist aber kaum damit zu rechnen.
Vorläufiges Abkommen
Ein Handelsabkommen könnte vor Jahresende ausgehandelt, provisorisch am Jahresanfang in Kraft gesetzt und nachträglich ratifiziert werden. Das EU-Parlament beklagt zwar, dies beeinträchtige die demokratische Kontrolle des Textes, weil die Volksvertreter vor vollendete Tatsachen gestellt würden. Auch haben einige Mitgliedstaaten rechtliche Bedenken angemeldet, weil die britische Seite den Text eventuell nicht ratifizieren könnte. Dennoch gilt diese Variante momentan als am wahrscheinlichsten.
Auch hier läuft allerdings die Zeit ab. Für die Übersetzung, juristische Prüfung und technische Umsetzung eines Vertragstextes sind einige Tage nötig. Aus EU-Kreisen hieß es, ein Abkommen müsste bis Weihnachten stehen, um es am 1. Januar anzuwenden. Der 23. Dezember sei aber keine „harte Deadline“, sagte ein EU-Diplomat. Sollte ein Durchbruch am 24. oder 25. Dezember in Reichweite erscheinen, würden die Verhandlungen wohl fortgeführt.
Verspätetes Abkommen
Nicht ausgeschlossen wird ein Szenario, in dem ein Abkommen zu spät für eine provisorische Anwendung zustande käme. Der Text könnte dann wenige Tage später in Kraft gesetzt werden. Ab dem 1. Januar gäbe es dann trotzdem einen „technischen No Deal“ mit Zöllen und anderen Handelsbarrieren – zumindest für kurze Zeit.
Kein Abkommen und weitere Verhandlungen
Ohne Deal würde Großbritannien den EU-Binnenmarkt und die Zollunion ohne Nachfolgeregelung verlassen. Es würden dann die Regeln der Welthandelsorganisation WTO mit teils hohen Zöllen und strengen Einfuhrquoten gelten.
Der EU-Chefunterhändler Michel Barnier sagte am Dienstag, die EU sei bereit, „bis Jahresende und darüber hinaus“ zu verhandeln. Brüssel und London befänden sich dann aber „in einer neuen Phase“, die Verhandlungen würden „in einem anderen Kontext“ weitergeführt, hieß es aus EU-Kreisen. Aller Voraussicht nach wäre auch Barnier nicht mehr dafür zuständig.
Verlängerung der Übergangsphase
Rufe nach einer Verlängerung der Übergangsphase gibt es immer wieder – zuletzt aus dem EU-Parlament und vom britischen Gesundheitsdienst NHS unter Verweis auf die angespannte Lage wegen der Corona-Pandemie. Die Möglichkeit gilt in Diplomatenkreisen allerdings als ausgeschlossen.
Brüssel und London hatten im Austrittsvertrag für Großbritannien die Möglichkeit einer Verlängerung der Übergangsphase vorgesehen. Aber London hatte dies im Sommer endgültig abgelehnt. „Wenn man das jetzt machen will, bräuchte es dafür eine neue rechtliche Grundlage, einen neuen völkerrechtlichen Vertrag“, sagte ein EU-Diplomat.