Britisches Gericht lehnt Auslieferung von Wikileaks-Gründer Assange an die USA ab

Die Justitia - ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit
Die Justitia - ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit

Ein Gericht in London hat den US-Auslieferungsantrag für Wikileaks-Gründer Julian Assange abgelehnt. Richterin Vanessa Baraitser begründete ihre Entscheidung am Montag mit der psychischen Verfassung des 49-jährigen Australiers und den strikten Haftbedingungen, die ihn bei einem Prozess wegen des Vorwurfs der Spionage in den USA erwarten würden. Es bestehe das „beträchtliche“ Risiko, dass Assange sich in US-Haft das Leben nehmen würde, sagte Baraitser. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden. 

Bei einer Auslieferung in die USA drohten Assange „verschiedene strikte Haftbedingungen“, die darauf angelegt seien, „physischen Kontakt“ zu verhindern und „soziale Interaktion und Kontakt mit der Außenwelt auf ein absolutes Minimum zu beschränken“, sagte Baraitser. Bei Assange seien bereits eine klinische Depression und „andauernde Suizidgedanken“ diagnostiziert worden, betonte sie. 

Die Hürden für eine Blockade von US-Auslieferungsersuchen seien angesichts der britischen Verpflichtungen in bilateralen Verträgen hoch, sagte Baraitser. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die „brutalen“ Haftbedingungen, die Assange in den USA mutmaßlich erwarten würden, dessen psychische Gesundheit noch verschlechtern würden. 

Assange ist in den USA wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente sowie wegen Spionage angeklagt. Bei einer Verurteilung würden ihm dort bis zu 175 Jahre Haft drohen. 

Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte 2010 und 2011 hunderttausende geheime Papiere vor allem zum Irak-Krieg ins Internet gestellt, die ihr von der früheren US-Soldatin Chelsea Manning zugespielt worden waren. Die Dokumente enthielten brisante Informationen über die US-Einsätze in dem Land, unter anderem über die Tötung von Zivilisten und die Misshandlung von Gefangenen.

Seit mehr als anderthalb Jahren sitzt der Wikileaks-Gründer in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis. Er war im April 2019 in Großbritannien verhaftet worden, nachdem er sich zuvor sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London verschanzt hatte.  

Assange wischte sich nach der Verkündung des Urteils über die Stirn. Seine Verlobte, die Anwältin Stella Moris, brach in Tränen aus. Sie hatte zuvor in einem „Spiegel“-Interview erklärt, dass Assange bei einer Auslieferung in die USA ein „schreckliches Vegetieren“, eine „lebenslange Todesstrafe“, erwarten würde. „Julian würde das nicht lange überleben“, sagte Moris, die mit Assange zwei Söhne hat.

Nach der Urteilsverkündung brachen seit dem frühen Morgen vor dem Gerichtsgebäude versammelte Assange-Unterstützer in Jubel aus. Viele riefen: „Free Assange“ – „lasst Assange frei“. Auch nach Baraitsers Urteil bleibt Assange allerdings zunächst in Gewahrsam. Über einen Antrag seiner Anwälte auf Freilassung gegen Kaution könnte noch im Laufe des Tages entschieden werden. 

Assanges Anwälte kritisieren das juristische Vorgehen gegen ihren Mandanten als politisch motiviert. Die US-Organisation Freedom of the Press Foundation bezeichnete die Anklage gegen den Wikileaks-Gründer als „gefährlichste Bedrohung für die Pressefreiheit seit Jahrzehnten“ 

Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands (DJV), Frank Überall, nannte das Urteil von London einen „wichtigen Erfolg“. Dies gelte in erster Linie „natürlich für Julian Assange, aber auch für alle Journalistinnen und Journalisten, die mit brisantem Material arbeiten, an dessen Veröffentlichung Mächtige kein Interesse haben“. 

Der außenpolitische Sprecher der Linken-Fraktion, Gregory Gysi, erklärte, das Urteil sei ein „wichtiger Schritt zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, im Interesse der Pressefreiheit und zu demokratischer Stabilität“. Gysi forderte Assanges Freilassung aus der Auslieferungshaft, „insbesondere aus dem Hochsicherheitstrakt“.

Für Assanges Freilassung hatte sich auch der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer eingesetzt. Im Dezember appellierte er in einem offenen Brief an den scheidenden US-Präsidenten Donald Trump, den Wikileaks-Gründer zu begnadigen und einen „mutigen Mann“ zu rehabilitieren, der seit mehr als zehn Jahren „Ungerechtigkeit, Verfolgung und Demütigung ausgesetzt“ sei, „nur weil er die Wahrheit sagt“. In dem Brief hatte Melzer auch den dramatischen Gesundheitszustand Assanges geschildert. Der 49-jähriger Australier leidet demnach unter anderem an einer Atemwegserkrankung, die ihn besonders anfällig für Covid-19 macht.

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