Mit einer sechs Jahrzehnte währenden Karriere und einem außergewöhnlich großen Bühnenreportoire ist der Sänger und Dirigent Plácido Domingo eine lebende Opern-Legende. Seine Auftritte als Mitglied der Drei Tenöre brachten dem Spanier Weltruhm, er arbeitete an den großen Opernhäusern der Welt und wurde vielfach international ausgezeichnet. 2019 veröffentlichte Belästigungsvorwürfe werfen allerdings einen dunklen Schatten auf die Karriere des Opernstars, der am Donnerstag 80 Jahre alt wird.
Sein musikalisches Talent wurde Domingo in die Wiege gelegt. Während seiner Geburt am 21. Januar 1941 habe seine Mutter gesungen, sagte er einmal. Seine Eltern waren beide Sänger traditioneller spanischer Zarzuela-Operetten. Als Plácido acht Jahre alt war, zog die Familie nach Mexiko. Dort studierte er am Musikkonservatorium, zuerst Klavier, dann Dirigieren und Gesang. Zunächst sang er Bariton-Partien, doch seine Lehrer überredeten ihn, sich zum Tenor ausbilden zu lassen.
Mit 16 brach Domingo sehr zum Missfallen seiner Eltern aus seinem Leben aus und heiratete eine Mitstudentin. Das Paar bekam einen Sohn, die Beziehung war allerdings nicht von langer Dauer.
Mit 18 ergatterte Domingo seine erste kleinere Opernrolle, zwei Jahre später debütierte der Tenor in einer Hauptrolle; im mexikanischen Monterrey sang er den Alfredo in Verdis „La Traviata“. Es folgten drei Spielzeiten an der Nationaloper in Tel Aviv. 1962 heiratete Domingo seine zweite Frau, die Sopranistin Marta Omelas, mit der zwei weitere Söhne hat.
International startete Domingo ab 1965 durch – mit Dirigenten wie Herbert von Karajan und Claudio Abbado. 1973 begann er zudem seine Karriere als Dirigent. Doch das Singen blieb Domingos größte Leidenschaft.
Mit Luciano Pavarotti und José Carreras begeisterte Domingo in den 90er Jahren ein Millionenpublikum in aller Welt für die Oper. Legendär ist das Konzert der Drei Tenöre in Rom zur Fußball-Weltmeisterschaft 1990.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere nannte die „New York Times“ Domingos Stimme „eine Naturgewalt“. Sein Repertoire umfasste mehr als 140 Bühnenrollen – eine unvergleichlich hohe Zahl für einen Top-Tenor. Domingo bekam mehrere Grammys, wurde unter anderem mit der Freiheitsmedaille der USA ausgezeichnet und zum Mitglied der französischen Ehrenlegion sowie zum Ritter des britischen Empire ernannt.
2009 kehrte Domingo zur Bariton-Stimmlage zurück. Zwischen 1996 und 2011 war er künstlerischer Leiter und dann Generaldirektor der Nationaloper in Washington. 2003 wurde er Generaldirektor der Oper in Los Angeles. „Wenn ich raste, roste ich“, pflegt Domingo seinen Arbeitseifer zu erklären.
Doch die glanzvolle Karriere des „Königs der Oper“, wie das Magazin „Newsweek“ Domingo einst nannte, bekam 2019 einen herben Dämpfer. Die US-Nachrichtenagentur Associated Press veröffentlichte Berichte über Belästigungsvorwürfe von rund 20 früheren Kolleginnen Domingos. Er hatte sie demnach etwa begrabscht oder ihnen Küsse aufgezwungen.
Nach monatelangem Schweigen entschuldigte sich der Opernstar nach der Veröffentlichung eines unabhängigen Untersuchungsberichts zunächst für den „Schmerz“, den er den hinter den Vorwürfen stehenden Frauen zugefügt habe. Zwei Tage später erklärte er allerdings, seine Stellungnahme habe einen „falschen Eindruck“ erweckt. Er habe „nie jemanden missbraucht“ und er habe sich niemals „aggressiv gegen irgendjemanden verhalten“.
Zuvor war er als Generaldirektor der Oper von Los Angeles zurückgetreten. Im Zuge der #MeToo-Affäre wurden zahlreiche Konzerte des Spaniers abgesagt. Bei Auftritten bei den Salzburger Festspielen und in der Hamburger Elbphilharmonie wurde er dennoch gefeiert.
Domingo machten wiederholt auch gesundheitliche Probleme zu schaffen. Im vergangenen März kam der im mexikanischen Acapulco lebende Musiker wegen einer Corona-Infektion ins Krankenhaus. 2013 war er in Madrid wegen einer Lungenembolie behandelt worden, drei Jahre zuvor hatte er sich einer Darmkrebs-OP unterzogen.
Schon 2005 hatte Domingo kurz vor einem Konzert in der Berliner Waldbühne in einem „Welt“-Interview gesagt, sein Abschied von der Bühne sei „ziemlich nahe“. Doch der „Operaholic“ kann offenbar nicht von seiner Leidenschaft lassen: Am Tag nach seinem 80. Geburtstag will er an der Wiener Staatsoper die Titelrolle in der Verdi-Oper „Nabucco“ singen.