Menschenrechtsgericht entlastet Deutschland im Verfahren um Kundus-Angriff

EGMR - Bild: CherryX/CC-by-sa 3.0/de
EGMR - Bild: CherryX/CC-by-sa 3.0/de

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Deutschland vom Vorwurf entlastet, den verheerenden Nato-Luftangriff im afghanischen Kundus im Jahr 2009 nicht ausreichend aufgeklärt zu haben. Die Ermittlungen Deutschlands zu dem vom Bundeswehr-Oberst Georg Klein angeordneten Bombardement mit dutzenden zivilen Toten seien gründlich gewesen, entschieden die Straßburger Richter am Dienstag einstimmig. Geklagt hatte der afghanische Familienvater Abdul Hanan, der bei dem Angriff seine beiden jungen Söhne verloren hatte. 

Bei dem von Klein angeordneten und von zwei US-Kampfjets ausgeführten Luftangriff in Kundus am 4. September 2009 waren etwa hundert Menschen getötet worden, darunter dutzende Zivilisten. Hintergrund war die Kaperung zweier Tanklaster durch die radikalislamischen Taliban in der Nähe des deutschen Feldlagers gewesen. Klein befürchtete nach eigenen Angaben, dass die Aufständischen die Laster als rollende Bomben gegen das Feldlager einsetzen wollten. 

In Berlin hatte der Luftangriff eine Regierungskrise ausgelöst, in deren Zuge der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) Ende 2009 von seinem neuen Amt als Arbeitsminister zurücktreten musste. 

In dem Straßburger Verfahren ging es nicht um den Luftangriff selbst, sondern um die Frage, ob Deutschland seiner Aufklärungspflicht dazu in ausreichendem Maße nachgekommen war. Die Bundesanwaltschaft hatte die Ermittlungen gegen Klein 2010 eingestellt. Klagen Hanans und anderer Hinterbliebener wurden in Deutschland vor allen Instanzen abgewiesen. 

2016 reichten Hanan und die in Berlin ansässige Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) Klage beim EGMR ein. Sie argumentierten, dass Deutschland mit der Einstellung der Strafermittlungen auf das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebene Recht auf Leben verstoßen und überdies Hanans Recht auf wirksame Beschwerde verletzt habe. 

Dies wiesen die Straßburger Richter nun zurück. Deutschland habe gründlich ermittelt, ob die Anwendung tödlicher Gewalt in Kundus rechtmäßig gewesen sei. Auch habe Hanan, der bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen war, über ausreichende Beschwerdemittel verfügt. Die Richter verwiesen zudem auf den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Kundus-Luftangriff, der es auch der Öffentlichkeit ermöglicht habe, in der Angelegenheit ihre Kontrollfunktion auszuüben. Die Entscheidung des Gerichts kann nicht angefochten werden.

Das Urteil stieß auf ein geteiltes Echo. Der Kläger-Anwalt und ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck nannte es für die Hinterbliebenen enttäuschend, dass der EGMR keine Rüge ausgesprochen habe und somit kein strafrechtliches Verfahren mehr in Gang komme. 

International sei das Urteil aber durchaus von Bedeutung, da die EGMR-Rechtssprechung für ähnliche Fälle geklärt worden sei, sagte Kaleck bei einer Online-Pressekonferenz. Das bedeute, dass die Europäische Menschenrechtskonvention in Fällen wie dem Kundus-Angriff anzuwenden sei und sich Entscheidungsträger militärischer Aktionen „auch nachher juristisch zu verantworten“ hätten. 

Kritik übte Kaleck daran, dass sich Deutschland nie für den Luftangriff entschuldigt habe. Die beiden Vertreterinnen der Bundesrepublik hätten zwar in der Anhörung des Falls vor der Großen Kammer des EGMR im vergangenen Jahr ihr Bedauern über die zivilen Opfer zum Ausdruck gebracht. „Es wäre aber schön gewesen, wenn das auch direkt an Hanan und andere Dorfbewohner kommuniziert worden wäre“, sagte Kaleck. „Das hätte eine große Wirkung gehabt.“ 

Eine „bittere Enttäuschung“ nannte das Urteil die Linken-Verteidigungspolitikerin Christine Buchholz, die Mitglied im Kundus-Untersuchungsausschuss gewesen war. Die Bundesregierung sei „mit ihren Fake News und der Verschleierungstaktik“ durchgekommen, beklagte sie. Im Untersuchungsausschuss sei festgestellt worden, dass der kommandierende Oberst Klein „nicht zwischen Aufständischen und Zivilisten unterschieden und damit Grundregeln des Völkerrechts missachtet“ habe. 

Positiv äußerte sich der damalige Bundesverteidigungsminister Jung zu dem Urteil. „Ich halte die Entscheidung für richtig und zutreffend, und ich bin dankbar, dass das Gericht so entschieden hat“, sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Zwar seien in jener Nacht des 4. September 2009 „leider Gottes Opfer zu beklagen“ gewesen. Die Entscheidung für den Angriff sei jedoch aus damaliger Sicht begründet gewesen.

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