Seinem Ruf als erfahrener Krisenmanager hat er seinen neuen Job zu verdanken, und tatsächlich steht Mario Draghi mal wieder vor immensen Herausforderungen: Am Samstag wurde der frühere Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) in Rom als Chef einer Einheitsregierung aus Experten und Vertretern fast aller Parteien im Parlament vereidigt – mit dem Auftrag, Italien aus seiner innenpolitischen und allen weiteren Krisen zu führen.
Draghi, der sich bereits in der Eurokrise als entschlossener Krisenmanager erwies und den Spitznamen „Super Mario“ bekam, könnte es tatsächlich gelingen, das Land wieder in ruhigeres Fahrwasser zu lenken. Er wird von einem ungewöhnlich breiten Parteienbündnis getragen, seiner Regierung gehören zudem Experten an, die auch international Renommee und Vertrauen besitzen.
Lange Zeit hatte sich der 73-Jährige bei seinen politischen Ambitionen bedeckt gehalten. Nach seinem Ausscheiden aus der EZB im Oktober 2019 antwortete Draghi auf diese Frage: „Ich weiß es wirklich nicht. Fragen Sie meine Frau. Die weiß es.“
Der 1947 in Rom geborene Draghi ist studierter Wirtschaftswissenschaftler und promovierte am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Er lehrte an verschiedenen italienischen Universitäten, bevor er zwischen 1984 und 1990 sein Land bei der Weltbank vertrat. 1991 wurde er als Generaldirektor ins italienische Finanzministerium berufen, ein Posten, den er zehn Jahre lang unter neun verschiedenen Regierungen innehatte. In dieser Zeit war er mitverantwortlich für zahlreiche große Privatisierungen in Italien.
2002 wechselte er in die Führungsetage von Goldman Sachs. Ein Schritt, der ihm bis heute von Kritikern vorgeworfen wird, da die US-Investmentbank für viele Sinnbild der Exzesse an der Wall Street ist. 2005 wurde Draghi zum Nachfolger von Antonio Fazio an der Spitze der italienischen Notenbank ernannt, die in einen Bankenskandal verwickelt war.
Im November 2011 trat der zweifache Familienvater schließlich inmitten der Eurokrise das Amt des EZB-Chefs an. Acht Jahre leitete der ehemalige Jesuitenschüler die einflussreiche Institution. In dieser Zeit ergriff der Italiener Maßnahmen, die bei der Einführung des Euro vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wären: Negativzinsen, massive Ankäufe von Staatsanleihen und enorme Kredite für Banken.
Im Sommer 2012 gelang es „Super Mario“ mit einer Rede in London, in der er versicherte, „alles Notwendige“ („Whatever it takes“) zu tun, um den Euro zu retten, das Blatt in der Euro-Krise zu wenden. Draghis Worte trugen nach Auffassung von Experten entscheidend zur Beruhigung der Finanzmärkte und damit zur Rettung der Einheitswährung bei.
Kritiker, allen voran Deutschland und die Niederlande, warfen ihm allerdings vor, durch seine Zinspolitik keine Anreize für Reformen überschuldeter Länder zu schaffen und Sparer zu ruinieren. Die „Bild“-Zeitung bezeichnete ihn gar als „Graf Draghila“, der deutsche Konten „leersaugt“. Doch der freundliche Italiener mit einer Vorliebe für schlichte Anzüge hat sich immer davor gehütet, für die südeuropäischen Länder Partei zu ergreifen.
Draghi ist für seine Diskretion, Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit bekannt. Das in Rom gerne zelebrierte mondäne Leben ist ihm fremd. In Italien genießt er großes Ansehen. Im Januar dieses Jahres gründete sich gar eine Bürgerbewegung, die den Ökonomen gern als Retter in der Krise will. Auch an den Börsen kam die Nachricht von der neuen Regierung unter Draghi gut an.
Nun muss es sich zeigen, ob es ihm gelingt, das Land tatsächlich aus seinen vielen Krisen zu führen, seit langem geforderte Reformen anzupacken – und nebenbei sein disparates Regierungsteam zusammenzuhalten.