Boris Palmer: Der eigenwillige OB aus dem Südwesten nervt die Grünen seit Jahren

Boris Palmer - Bild: Foto: Reinhard Kraasch, Lizenz: CC-BY-SA 4.0 DE, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Boris Palmer - Bild: Foto: Reinhard Kraasch, Lizenz: CC-BY-SA 4.0 DE, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Boris Palmer weiß zu provozieren. Seit Jahren nervt er die Grünen mit Sprüchen, die als fremdenfeindlich ausgelegt werden können – nun ist für seine Partei die Schmerzgrenze überschritten. Der 48-Jährige soll ausgeschlossen werden, so wollen es die baden-württembergischen Grünen und die Bundesspitze um Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Seit Freitag steht Palmer wieder wegen Rassismusvorwürfen im Fokus. Davor hatte der Tübinger Oberbürgermeister mit seinem Corona-Modellprojekt viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

In der Corona-Krise tat sich Palmer von Beginn an als Kritiker der Lockdown-Maßnahmen hervor. Im Frühjahr 2020 sorgte er mit diesen Worten für Empörung: „Ich sag es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einen halben Jahr sowieso tot wären, auf Grund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“ Dafür tadelte ihn auch Baden-Württembergs Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann, als dessen politischer Weggefährte Palmer lange galt.

Schon damals hatte Ko-Parteichef Robert Habeck gesagt, Palmer spreche nicht für die Grünen. Die baden-württembergische Parteispitze hatte vor einem Jahr konstatiert: „Er trägt mit seinen inszenierten Tabubrüchen und kalkulierten Ausrutschern zu einer Brutalisierung der öffentlichen Debatte bei.“ Schon damals hieß es aus Bundes- und Landespartei, Palmer werde bei Kandidaturen nicht mehr unterstützt.

Hohe Wellen schlug im April 2019 Palmers Kommentar zu einer Werbeanzeige der Bahn. Der galt einem Foto, auf dem unter anderem der schwarze TV-Koch Nelson Müller und die türkischstämmige TV-Moderatorin Nazan Eckes zu sehen waren. Mit den Worten: „Welche Gesellschaft soll das abbilden?“ kommentierte Palmer die Auswahl der Prominenten. Nur von der AfD erhielt der  Oberbürgermeister, der seit 2007 im Amt ist, dafür Zuspruch.

Viele seiner Parteifreunde reizt Palmer seit Jahren bis aufs Blut – etwa als er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise entgegen hielt: „Wir schaffen das nicht.“

Palmer ist rauflustig – und das nicht nur im übertragenen Sinne. Einst lieferte er sich auf der Straße in Tübingen eine aggressive Auseinandersetzung mit einem Studenten, dessen Personalien er kontrollieren wollte – und handelte sich eine Strafanzeige wegen Nötigung ein.

Die Provokation hat System bei Palmer – und liegt auch in seiner Familie, wie er selbst angibt. Er wurde als Sohn des Obstbauern Helmut Palmer geboren, der in Baden-Württemberg als politischer Provokateur auch den Spitznamen „Remstal-Rebell“ trug und 289 Mal erfolglos bei Bürgermeisterwahlen antrat.

Sohn Boris machte an einer Waldorfschule Abitur, studierte dann Mathematik und Geschichte, war Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg. 2007 gewann er als erster Grüner die Wahl zum Oberbürgermeister in Tübingen und wurde 2014 wiedergewählt.

Aus der Universitätsstadt machte Palmer eine grüne Vorzeigekommune. Er verbot Ölheizungen, führte kostenlose Wasserstoffbusse ein und legte ein ambitioniertes Klimaprogramm auf. Das Corona-Modellprojekt mit Öffnungen von Geschäften und kulturellen Einrichtungen musste er kürzlich aber wieder beenden – wegen des hohen Inzidenzwertes im Landkreis Tübingen. Das Modell hatte bundesweit Aufsehen erregt, stand aber auch in der Kritik.

Bei den Grünen haben viele lange gehofft, Palmer werde der Partei von selbst den Rücken kehren. Am Samstag machte der Landesparteitag mit seinem Votum für ein Ausschlussverfahren dann ernst. Palmer rechtfertigt derweil den Gebrauch rassistischer und obszöner Ausdrücke mit dem „Stilmittel der Satire“. Er habe die verhängnisvolle Wirkung von Rassismusvorwürfen aufzeigen wollen, sagte er der „Welt am Sonntag“.

Eines kann Palmer an diesem Wochenende – das die Südwest-Grünen eigentlich dem neuen Koalitionsvertrag widmen wollten – in jedem Fall für sich verbuchen: Der eigenwillige Oberbürgermeister sorgt wieder einmal für gesteigertes Interesse an seiner Person. Wie sich das Palmer-Beben auf den Höhenflug auswirkt, den die Grünen mit Kanzlerkandidatin Baerbock gerade erleben, bleibt abzuwarten.

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