Auch mit 70 Jahren hat Michel Barnier noch politischen Ehrgeiz: „Ich werde Akteur in der Präsidentschaftsdebatte sein“, sagt der frühere Brexit-Chefunterhändler der EU selbstbewusst zu den Wahlen in Frankreich in rund einem Jahr. Fordert der konservative Barnier Präsident Emmanuel Macron heraus?
Derzeit macht Barnier in seinem Heimatland wieder von sich reden. Am Donnerstag ist sein neues Buch erschienen, unter dem Titel „La grande illusion – Journal secret du Brexit“ (Die große Illusion – Das geheime Tagebuch des Brexit). Französische Journalisten interessiert aber vor allem, ob Barnier 2022 gegen Macron antritt.
Aus seinen Ambitionen macht der frühere Außenminister kaum einen Hehl. Er stehe für ein „ambitioniertes Projekt“ und wolle für „den Zusammenschluss des Landes“ kämpfen, sagte er in einem Interview. Im Lager der französischen Konservativen ist Barnier allerdings nicht der einzige, der sich für das höchste Amt in Stellung bringt. Der frühere Gesundheitsminister Xavier Bertrand hat seine Kandidatur bereits erklärt, auch andere stehen in den Startlöchern.
„Unsere politische Familie droht zu verschwinden, wenn wir unsere Streitigkeiten nicht überwinden“, warnt Barnier. Denn Macrons Wahl im Mai 2017 hatte ein Erdbeben im französischen Parteiensystem ausgelöst. Danach spaltete sich die konservative Volkspartei Les Républicains (Die Republikaner) auf: in „Konstruktive“, die Macron unterstützen und zu denen Premierminister Jean Castex und eine Reihe wichtiger Minister gehören; und in Traditionalisten, die auf die Eigenständigkeit der Republikaner pochen. Zu letzteren zählt sich Barnier.
Als sein Vorbild sieht er Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der Frankreich von 2007 bis 2012 regierte. „Sarkozy hat es geschafft, alle zusammenzubringen“, sagte Barnier kürzlich der Nachrichtenagentur AFP. „Deshalb hat er gewonnen.“ Zudem errichtete Sarkozy eine Brandmauer nach Rechtsaußen. Gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen tun sich die heutigen Konservativen dagegen schwer.
Weil der 66-jährige Sarkozy derzeit nur als Angeklagter in verschiedenen Prozessen Schlagzeilen macht, will Barnier dessen Rolle als Vermittler übernehmen. Seit rund einem Monat nimmt er für eine Gruppe namens „Europäer und Patrioten“ an Gesprächen des Strategiekomitees der Republikaner teil. Die Erfahrung Barniers sei für die zerstrittene Partei unerlässlich, sagt ein Mitglied.
Aber ob dies für einen Einzug in den Elysée-Palast reicht, daran zweifeln viele. Denn die EU-skeptischen Franzosen sehen Barniers langjährige Arbeit in Brüssel eher kritisch, in Umfragen zu den beliebtesten Politikern spielt der steif wirkende 70-Jährige keine Rolle.
Geboren wurde der Gaullist am 9. Januar 1951 fernab von Paris, in der kleinen Gemeinde La Tronche unweit der Alpenstadt Grenoble. Der Alpenregion Savoyen stand er lange Jahre als Präsident vor. In den 1990er Jahren zog Barnier erstmals in die Pariser Regierung ein, zunächst als Umweltminister. Später war er unter anderem Agrar- und Außenminister.
Bekannt wurde er aber vor allem in Brüssel: Zunächst als Regionalkommissar, ab 2010 auf dem wichtigen Posten des Binnenmarktkommissars. Im Juli 2016 machte ihn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Brexit-Chefunterhändler. Auch seit dem Austritt der Briten ist der dreifache Vater Barnier noch für die EU tätig: als Sonderberater von Kommissionschefin Ursula von der Leyen.
Was der leidenschaftliche Bergwanderer Barnier einmal über die zähen Brexit-Verhandlungen gesagt hat, könnte nun auch für die Präsidentschaftswahl gelten: Im Gebirge lerne man, „einen Fuß vor den anderen zu setzen, weil der Weg steinig sein kann“. Wichtig sei, „den Gipfel immer im Blick zu behalten“.