Annalena Baerbock hat schnell zu spüren bekommen, wie dünn die Luft werden kann für Spitzenpolitikerinnen: Nach ihrer Nominierung als Kanzlerkandidatin erlebte sie einen nie dagewesenen Aufschwung in den Umfragen, doch wegen der Ungeschicklichkeiten bei ihrem Lebenslauf und dem Dämpfer bei der Wahl in Sachsen-Anhalt musste sie bald Federn lassen. Bei ihrer offiziellen Kür zur Kanzlerkandidatin gab sie sich kämpferisch – und erhielt breite Rückendeckung von ihrer Partei.
Stolze 98,5 Prozent der Delegierten des Online-Parteitags stellten sich hinter den Personalvorschlag, zu dem neben Baerbocks Kanzlerkandidatur auch das Wahlkampf-Spitzenduo aus ihr und Ko-Parteichef Robert Habeck gehörte. In ihrer Rede freute sich die 40-Jährige über die „volle Solidarität“ und den Rückenwind – „nach dem „Gegenwind der letzten Wochen“, in denen sie auch Fehler gemacht habe.
Dazu gehören die falschen Angaben in ihrem Lebenslauf. Auf ihrer Website war etwa zu lesen, sie sei Mitglied beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, obwohl diese Organisation gar keine Einzelpersonen aufnimmt.
Das war nicht der erste Patzer: Sie hatte zuvor einräumen müssen, dass sie Nebeneinkünfte zu spät an die Bundestagsverwaltung gemeldet hatte. Zudem machte ihr zu schaffen, dass die Grünen in der Debatte um höhere Spritpreise schlecht wegkamen, obwohl eine Anhebung auch Beschlusslage von Union und SPD ist.
Doch Gegenwind bekommt Baerbock keineswegs nur wegen eigener Fehler zu spüren – sondern auch von Lobbygruppen aus der Wirtschaft. Just zum Parteitag schaltete die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ eine Anzeige, in der die Kanzlerkandidatin im Moses-Gewand gezeigt wird – daneben war zu lesen: „Annalena und die zehn Verbote“.
Ihre Gegner führen zudem gerne ins Feld, dass Baerbock über keinerlei Regierungserfahrung verfügt: „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, und auch nicht Ministerin.“ Doch sie betrachtet sich und ihre Partei als „lernfähig“.
In der Tat wird der Grünen-Chefin bescheinigt, dass sie sich schnell in Themen einarbeiten und kenntnisreich argumentieren kann. Und sie gilt als durchsetzungsstark. „Drei Jahre als Parteichefin, Abgeordnete und Mutter kleiner Kinder stählen ziemlich.“
In ihren Zeit an der Spitze der Grünen hat Baerbock bewiesen, dass sie das politische Handwerk beherrscht: Sie ist verbindlich und vertritt jenen Pragmatismus, der die Grünen zu ihrer jetzigen Stärke geführt hat. Die ausgewiesene Realpolitikerin schaffte es dabei, den linken Parteiflügel einzubinden.
So streitet die studierte Völkerrechtlerin für einen konsequenten Klimaschutz und warnt zugleich davor, „Öko gegen Sozial“ auszuspielen: Sie präsentierte sich einst als basisnahe Kämpferin, die für den Kohleausstieg „raus auf die Straße“ will, aber auch das Gespräch mit Kohlekumpels sucht.
Auch bei ihrer Parteitagsrede macht Baerbock deutlich, dass sie möglichst viele Menschen mitnehmen möchte beim Klimaschutz. Nur wenn das gelinge, „werden die Bündnisse für den Klimaschutz stärker sein als die Bündnisse dagegen“.
Die am 15. Dezember 1980 in Hannover geborene Baerbock war von 2009 bis 2013 Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg, bevor sie in den Bundestag einzog. Bei den schließlich gescheiterten Sondierungen über eine Jamaika-Koalition Ende 2017 machte sich die ehemalige Trampolinturnerin nicht nur in der Klima-, sondern auch der Europapolitik einen Namen. Im Januar 2018 wurde sie dann gemeinsam mit Habeck zur Grünen-Bundesvorsitzenden gewählt.
Ihre Familie hat sich bereits für den Fall der Kanzlerschaft gerüstet. Ehemann Daniel Holefleisch werde dann seinen Job aufgeben und die Kinderbetreuung übernehmen, sagte Baerbock kürzlich der „Bild am Sonntag“. Die Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren, sieht Baerbock nicht: Die Töchter wüssten, „wo mein Herz und mein Zuhause sind“.