Lange Zeit haben Nachtzüge das Bild des Reisens in Europa mitgeprägt und dabei unzählige Bücher und Filme inspiriert. Doch die Fahrt im Schlafwagen ist für viele längst nur noch eine nostalgische Erinnerung – denn häufig rechneten sich die teuren Strecken für die Betreiber nicht, die Konkurrenz durch Billigflieger verschärfte den Niedergang. Nun könnte allerdings eine neue Nachtzug-Ära bevorstehen, auch wegen der Klimakrise.
Frankreich, Schweden und vorneweg Österreich gehören dabei zu den europäischen Ländern, in denen sich eine Renaissance der Schlafwagen am deutlichsten abzeichnet. In Frankreich, wo das Angebot in den vergangenen Jahren mit Ausnahme einiger weniger Strecken eingestellt worden war, kündigte Präsident Emmanuel Macron im Juli eine Neuentwicklung von Nachtzugverbindungen als Teil der Klimaschutzbemühungen an.
Nach Angaben von Verkehrs-Staatssekretär Jean-Baptiste Djebbari soll es bereits bis 2022 nächtliche Verbindungen zwischen Paris und der Mittelmeerstadt Nizza geben, ebenso nach Tarbes am Fuß der Pyrenäen.
Er sei davon überzeugt, dass es eine „echte Nachfrage“ gebe, sagt Christophe Fanichet, der bei der staatlichen Bahngesellschaft SNCF für die Passagiersparte verantwortlich ist. Vor allem die junge Bevölkerung lege ihr Augenmerk dabei auf die CO2-Emissionen und sei bereit, dafür auch etwas mehr Reisezeit in Kauf zu nehmen.
Auch wenn der CO2-Ausstoß pro Reisendem nur schwer einheitlich berechnet werden kann, weil er etwa von der Auslastung der Züge oder der Produktionsweise des verwendeten Stroms abhängt, gelten Nachtzüge als um ein vielfaches klimafreundlicher als Flugreisen.
Vorbildcharakter für viele junge Menschen hat dabei die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg, die grundsätzlich auf Flugreisen verzichtet und die am Donnerstag gemeinsam mit Vertreterinnen der Schüler- und Studentenbewegung Fridays For Future von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Berliner Kanzleramt empfangen wird.
Auch in Thunbergs Heimat Schweden, in der im vergangenen Jahr das Phänomen der „Flugscham“ populär geworden war, will die Regierung in neue Nachtzugverbindungen investieren. Bis zu 400 Millionen Kronen (knapp 39 Millionen Euro) sollen bis Sommer 2022 dem Schlafwagenverkehr zwischen Stockholm und Hamburg sowie zwischen Malmö und Brüssel über Köln zugutekommen.
Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) sind schon weiter: Sie sind mittlerweile Europas größter Anbieter von Nachtreisezügen und starteten erst im Januar eine weitere Verbindung, die Wien mit Brüssel verbindet. Umweltministerin Leonore Gewessler sieht ihr Land dabei als Vorreiter in Europa – und als Vorbild. Auch in Deutschland werden einige Strecken von den ÖBB unter der Marke Nightjet betrieben, die damit nach eigenen Angaben schwarze Zahlen schreibt.
Die Deutsche Bahn indes hat sich seit 2016 vom klassischen Nachtzuggeschäft verabschiedet. Insbesondere die Grünen fordern von der Bundesregierung deshalb, sich wieder für mehr Nachtzugverbindungen einzusetzen. Laut einer im Februar bekanntgewordenen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen steht die Bundesregierung einer Ausweitung zwar grundsätzlich „offen“ gegenüber, betont aber auch, dass „eine wirtschaftlich tragfähige Gestaltung des Angebots“ Voraussetzung sei.
Die Bahn verwies demnach auf die von ihr nachts angebotenen ICE- und IC-Züge, die jedoch nicht über Schlaf- oder Liegewagen verfügen. Diese hätten sich nicht als wirtschaftlich erwiesen.
Einer regelrechten europäischen Nachtzug-Revolution steht derzeit auch die Corona-Krise im Weg. Es müssten bessere Lösungen für die Schlafwagen gefunden werden, als die derzeit noch weit verbreiteten Sechs-Bett-Abteile, heißt es in Branchenkreisen. Bislang bestehen die Schlafmöglichkeiten häufig aus zwei dreistöckigen Betten, die nur durch eine relativ schmale Lücke getrennt sind.
In Zeiten der Pandemie dürfte es bei vielen Reisenden allerdings Vorbehalte dagegen geben, auf solch engem Raum eine gesamte Nacht mit potenziell fünf komplett fremden Menschen zu verbringen.
SNCF-Manager Fanichet hält daher eine „Neuerfindung“ des Nachtzugs für nötig. „Wir können nicht einfach wieder die Nachtzüge von gestern zurückhaben“, sagt er.