Mission erfüllt „light“ – Biden geht mit Truppenabzug aus Afghanistan großes Risiko ein

Joe Biden - Bild: Adam Schultz/White House
Joe Biden - Bild: Adam Schultz/White House

Den Ort für seine große Afghanistan-Abzugsrede hatte US-Präsident Joe Biden mit Bedacht ausgewählt. Im Treaty Room des Weißen Hauses hatte sein Vor-Vor-Vorgänger George W. Bush einen Monat nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 den Beginn des Militäreinsatzes in Afghanistan bekanntgegeben. Im selben Raum verkündete Biden knapp 20 Jahre später den vollständigen Abzug der US-Truppen vom Hindukusch bis zum kommenden 11. September – und damit das Ende von „Amerikas längstem Krieg“.

„Es ist Zeit, dass die amerikanischen Soldaten nach Hause zurückkehren“, sagte Biden in seiner Fernsehansprache. „Es ist Zeit, diesen ewigen Krieg zu beenden.“ Gemeinsam mit den USA werden vom 1. Mai an auch die Nato-Verbündeten einschließlich der Bundeswehr abziehen.

Was das für Afghanistan bedeuten könnte, ist dem außenpolitisch versierten Biden bewusst – die US-Geheimdienste haben gerade erst eine düstere Prognose vorgelegt. Ohne die Unterstützung westlicher Truppen werde die afghanische Armee große Schwierigkeiten im Kampf gegen die radikalislamischen Taliban bekommen, warnen die Nachrichtendienste. „Die Taliban sind zuversichtlich, einen militärischen Sieg erringen zu können.“ Die Aussichten auf ein Friedensabkommen seien „gering“.

Beobachter warnen, die Taliban könnten die Regierung in Kabul stürzen und das islamistische Schreckensregime wiederherstellen, das bis zum US-Einmarsch 2001 jahrelang in Afghanistan geherrscht hatte. 20 Jahre Blutvergießen, Wirtschaftshilfe und Demokratisierungsbemühungen könnten dann vergebens gewesen sein.

Schon jetzt kontrollieren die Taliban weite Teile des Landes. Und die Beteuerungen von Präsident Aschraf Ghani, Afghanistans „stolze“ Streitkräfte seien „vollständig in der Lage, ihre Menschen und ihr Land zu verteidigen“, klingen wenig überzeugend. 

Der Anführer von Trumps Republikanern im Senat, Mitch McConnell, kritisierte Bidens Abzugspläne denn auch scharf: „Wir helfen unseren Feinden am Jahrestag des 11. September, indem wir Afghanistan in Geschenkpapier packen und ihnen zurückgeben.“

Biden war auf solche Kritik gefasst – und hält mit nüchterner Realpolitik dagegen. Keiner seiner Vorgänger von Bush über Barack Obama bis Donald Trump habe auf ewig in Afghanistan bleiben wollen, sagte der 78-Jährige in seiner Rede. Es sei aber immer wieder erklärt worden, dass „jetzt nicht der richtige Moment“ für einen Abzug sei.

„Wir können nicht diesen Kreislauf fortsetzen, unsere Militärpräsenz in Afghanistan in der Hoffnung zu verlängern oder zu vergrößern, ideale Voraussetzungen für unseren Abzug zu schaffen“, sagte Biden – ein recht schonungsloses Eingeständnis zur Lage am Hindukusch.

Denn stabil war die Lage nach dem US-Einmarsch nie. Und ein militärischer Sieg über die Taliban gelang den USA ebenfalls nie, obwohl die größte Militärmacht der Welt zwischenzeitlich rund 100.000 Soldaten in dem Land einsetzte. Fast 2500 US-Soldaten starben in Afghanistan.

Schon in seiner Zeit als Vizepräsident unter Obama hatte Biden die US-Bemühungen, Afghanistan in eine stabile Demokratie mit einem gewissen Wohlstand zu verwandeln, mit großer Skepsis betrachtet. Vergeblich warb er für einen begrenzten Anti-Terror-Einsatz gegen das Netzwerk Al-Kaida und seine Verbündeten.

Der Kampf gegen den Terrorismus sei das ursprüngliche Ziel des Einsatzes gewesen – danach seien die Ziele „immer unklarer“ geworden, sagte Biden jetzt. Die USA seien nach den Anschlägen vom 11. September in das Land einmarschiert, damit es nicht erneut Ausgangspunkt von Attacken gegen die USA werde, sagte der Präsident. „Wir haben dieses Ziel erfüllt.“ Gewissermaßen eine Light-Version des „Mission erfüllt“, mit dem Bush 2003 den Irak-Krieg voreilig für beendet erklärt hatte.

Biden will jetzt das Kapitel Afghanistan schließen – auch um sich besser auf geopolitische Herausforderungen wie China und Russland konzentrieren zu können. Doch sollte Afghanistan erneut im Chaos versinken und zum Rückzugsort dschihadistischer Gruppen werden, könnte das Land dem Präsidenten schnell wieder großes Kopfzerbrechen bereiten.

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