Scholz zu Wirecard: „Skandal, der in der Finanzwelt schon seinesgleich sucht“

Unternehmen droht Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

Wirecard-Firmenzentrale in Aschheim - Bild: Leo Molatore / CC BY-SA
Wirecard-Firmenzentrale in Aschheim - Bild: Leo Molatore / CC BY-SA

Der Bilanzskandal beim Zahlungsdienstleister Wirecard bringt das Unternehmen an den Rande des Abgrunds. Der Vorstand entschied am Donnerstag, beim zuständigen Amtsgericht München Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, wie Wirecard mitteilte. Der Aktienkurs rauschte weiter in die Tiefe.

Den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stelle Wirecard wegen „drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung“, teilte das Unternehmen mit. Es werde zudem geprüft, ob Insolvenzanträge für Tochtergesellschaften der Wirecard-Gruppe gestellt werden müssten.

Wirecard hatte die Finanzmärkte am Donnerstag vor einer Woche mit der Nachricht schockiert, dass in der Jahresbilanz 1,9 Milliarden Euro fehlen. Am Montag hatte der Konzern dann eingeräumt, dass das Geld bei zwei philippinischen Banken mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht existiert.

Die Staatsanwaltschaft München I wirft dem vergangene Woche zurückgetretenen Wirecard-Chef Markus Braun angesichts des Milliardenlochs vor, mit weiteren mutmaßlichen Tätern die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen von Wirecard durch vorgetäuschte Einnahmen aufgebläht zu haben. Ziel sei es gewesen, das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen.

Braun war am Dienstag wegen des Verdachts der Marktmanipulation festgenommen worden, wurde gegen Zahlung einer Kaution in Höhe von fünf Millionen Euro noch am selben Tag aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Einen Haftbefehl gibt es laut Medienberichten zudem auch gegen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der sich demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit in der philippinischen Hauptstadt Manila aufhalten soll.

Wegen des 1,9-Milliarden-Euro-Lochs in der Bilanz konnte Wirecard bislang keinen Jahres -und Konzernabschluss vorlegen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY teilte am Donnerstag mit, im Rahmen der Abschlussprüfung für das Geschäftsjahr 2019 sei entdeckt worden, „dass gefälschte Saldenbestätigungen und weitere gefälschte Unterlagen für die Treuhandkonten vorgelegt wurden“.

Es gebe „deutliche Hinweise, dass es sich um einen umfassenden Betrug handelt, an dem mehrere Parteien rund um die Welt und in verschiedenen Institutionen mit gezielter Täuschungsabsicht beteiligt waren“, erklärte EY.

Die Wirecard-Aktie verlor nach der Veröffentlichung der Nachricht über den Insolvenzantrag am Donnerstag weiter massiv an Wert und notierte nur noch bei rund 3,50 Euro. Noch am Mittwoch vergangener Woche hatte der Wert der Aktie bei mehr als 100 Euro gelegen.

Wirecard stand seit der Gründung 1999 immer wieder im Zentrum von Aktienspekulationen. Anfang 2019 standen sogar schwere Betrugsvorwürfe im Raum. Die britische „Financial Times“ berichtete wiederholt über vorgetäuschte Umsätze und gefälschte Verträge bei Wirecard in Singapur. Wirecard wies die Anschuldigungen stets als verleumderisch zurück.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach am Donnerstagabend von einem „Skandal, der in der Finanzwelt schon seinesgleich sucht“. Nötig sei nun eine schnelle und gründliche Aufklärung. Kritische Fragen stellten sich dabei nicht nur an Management und Vorstand der Aktiengesellschaft, sondern auch den beteiligten Wirtschaftsprüfern und „natürlich auch den Aufsichtsstellen“. Auch hier müssten „die Strukturen durchleuchtet, mögliche Fehler rasch identifiziert und dann natürlich sofort abgestellt werden“.

Scholz sagte, er habe sein Ministerium beauftragt, in den kommenden Tagen ein Konzept zu erarbeiten, die Finanzaufsicht Bafin in die Lage zu versetzen, „Sonderprüfungen möglichst kurzfristig, schnell und effizient durchführen zu können“.

Ein solcher Skandal wie bei Wirecard müsse „ein Weckruf sein, dass wir mehr Aufsicht über und Kontrolle für die Finanzmärkte brauchen“, sagte Scholz. „Wir müssen künftig in der Lage sein, komplizierte internationale Firmenkonstrukte wie Wirecard effizienter und wirksamer zu kontrollieren“, forderte der Finanzminister.

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