Weil er vor rund einem Jahr einen Achtjährigen im Hauptbahnhof von Frankfurt am Main vor einen einfahrenden ICE gestoßen und getötet haben soll, steht ab Mittwoch ein 41-Jähriger vor dem Frankfurter Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann Totschlag, versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen vor.
Im Juli 2019 soll der Mann eine auf dem Bahnsteig stehende 40-jährige Frau und ihren acht Jahre alten Sohn vor den herannahenden Zug gestoßen haben. Während es der Mutter gelang, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, wurde das Kind von dem ICE erfasst und getötet. Im Anschluss daran soll der Mann einer weiteren auf dem Bahnsteig stehenden 78 Jahre alten Frau einen kräftigen Stoß in den Rücken versetzt haben, so dass sie fiel und sich erheblich verletzte.
Die Staatsanwaltschaft geht aufgrund fachärztlicher Untersuchungen davon aus, dass der Mann zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Es lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten wegen einer psychischen Erkrankung aufgehoben war.
Daher erhob die Staatsanwaltschaft keine Anklage, sondern stellte einen Antrag auf eine dauerhafte Unterbringung in einer Psychiatrie. Es kann aber laut Landgericht auch von Mord und zweifachen versuchten Mord auszugehen sein, wenn die Beweisaufnahme ergeben sollte, dass der 41-Jährige die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer bewusst ausgenutzt habe.
Die Tat löste großes Entsetzen aus: Wochenlang legten Passanten Blumen, Kerzen und Kuscheltiere an einer improvisierten Gedenkstätte zwischen den Gleisen sieben und acht des Kopfbahnhofs nieder. Heute erinnert an Gleis sieben nichts mehr an den toten Jungen. Im September wurde die Gedenkstätte geräumt und in die Räume der Bahnhofsmission verlegt.
Auch diesen Gedenkort gibt es nach Angaben des Leiters der Frankfurter Bahnhofsmission mittlerweile nicht mehr. Er sei etwa zwei bis drei Monate später aufgelöst worden, weil es keinen Publikumsverkehr mehr gegeben habe, sagte Carsten Baumann der Nachrichtenagentur AFP.
Im Nachgang der Tat wurde die AfD für eine Instrumentalisierung kritisiert. Der Verdächtige kommt nach Angaben der Behörden aus Eritrea und lebte seit 2006 in der Schweiz. Im Kanton Zürich wurde er von der Polizei wegen eines mutmaßlichen Angriffs auf seine Nachbarin wenige Tage vor der Tat in Frankfurt gesucht. Ihm wurde vorgeworfen, die Frau mit einem Messer bedroht, gewürgt und eingesperrt zu haben. Auch seine Frau und seine drei kleinen Kinder soll der Mann eingeschlossen haben und dann geflohen sein.
Der 41-Jährige besaß eine Niederlassungsbewilligung und hatte damit ein uneingeschränktes Aufenthaltsrecht in der Schweiz. Er galt als gut integriert, entwickelte jedoch zunehmend psychische Probleme. Schweizer Ermittlern zufolge soll er deswegen seit Januar 2019 nicht mehr gearbeitet haben. Wie es zu dem Bruch kam, blieb unklar.
Der Fall entfachte aber auch eine Debatte über die Sicherheit an Bahnhöfen. Im September vereinbarten die Bundesregierung und die Bahn Maßnahmen, wie beispielsweise die Aufstockung der Sicherheitskräfte und den Ausbau der Videoüberwachung. Bis 2024 sollen 1300 zusätzliche Bundespolizistenstellen für bahnpolizeiliche Aufgaben eingerichtet werden.
Zudem kündigte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) an, bis Ende 2024 „nahezu alle großen Bahnhöfe mit moderner Videotechnik“ auszustatten. In der Diskussion waren zudem auch Zugangsbeschränkungen zu Gleisen.