Libanon – Gefangen in einer politischen und wirtschaftlichen Abwärtsspirale

Libanon, Naher Osten
Libanon, Naher Osten

Schon vor den gewaltigen Explosionen in Beirut hat sich der Libanon in einer dramatischen politischen und wirtschaftlichen Abwärtsspirale befunden. Jetzt steht das Land vor einer riesigen Katastrophe und die Zukunft des Libanon ist ungewisser denn je: Die pulsierende Hauptstadt des arabischen Staates liegt zur Hälfte in Trümmern, rund 300.000 Menschen sind obdachlos, die Krankenhäuser sind inmitten der Corona-Krise durch tausende Verletzte überlastet und es drohen massive Versorgungsengpässe für die Bevölkerung durch die Zerstörung des Hafens von Beirut. Ein Überblick über die Krisen im Libanon seit 2005: 

ERMORDUNG VON RAFIK HARIRI

Am 14. Februar 2005 erschütterte ein Selbstmordanschlag auf den Fahrzeugkonvoi des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri die Hauptstadt Beirut. Neben Hariri starben 21 weitere Menschen. 

Der sunnitische Politiker galt vielen als Architekt des Wiederaufbaus nach dem Ende des verheerenden libanesischen Bürgerkriegs (1975-1990). Dennoch ist das Land nach wie vor tief gespalten etwa zwischen pro-westlichen und pro-iranischen Kräften. Sowohl dem syrischen Geheimdienst als auch der mächtigen schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon wird vorgeworfen, an dem Attentat beteiligt gewesen zu sein. Die folgenden Proteste zwangen Syrien damals zum Abzug seiner Truppen aus dem Libanon.

Die Explosionen vom Dienstag in Beirut ereigneten sich nur wenige Tage bevor am Freitag vor einem Sondergericht in Den Haag das Urteil im Prozess um den tödlichen Anschlag auf den sunnitischen Politiker fällt. Vier mutmaßliche Mitglieder der Hisbollah sind angeklagt. Der Prozess findet in Abwesenheit der Angeklagten statt.

EINFLUSS DER HISBOLLAH

Seit den Wahlen 2005 ist die Hisbollah an der Regierung in Beirut beteiligt, doch ist sie im Libanon höchst umstritten. Kritiker werfen ihr vor, der verlängerte Arm des Iran und Syriens zu sein. Im Juli 2006 nahm die Hisbollah zwei israelische Soldaten gefangen und entfachte damit einen 34-tägigen Krieg mit Israel. Fast 1400 Menschen starben, die meisten davon Libanesen. 

Nach tödlichen Zusammenstößen zwischen Anhängern der Hisbollah und Regierungsanhängern wurde im Juli 2008 eine Regierung der nationalen Einheit gebildet – mit einem Vetorecht für die Hisbollah und ihre Verbündeten. 2009 gewann ein anti-syrisches Bündnis unter Führung von Rafik Hariris Sohn Saad die Parlamentswahlen. Hariri übernahm das Amt des Ministerpräsidenten und trat das politische Erbe seines Vaters an. 2011 erzwang die Hisbollah den Zusammenbruch der Einheitsregierung, es folgte eine neue, von der Hisbollah dominierte Regierung. 

2016 gelangte erneut eine Regierung der nationalen Einheit mit dem von der Hisbollah unterstützten Christen Michael Aoun als Präsidenten und Saad Hariri als Regierungschef ins Amt. Rund eineinhalb Jahre später dominierte die Hisbollah die ersten Parlamentswahlen seit 2009. Hariris Zukunftsbewegung verlor ein Drittel der Sitze, er hielt sich dennoch an der Macht. Die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung zogen sich bis Januar 2019 hin.  

SCHLIMMSTE WIRTSCHAFTSKRISE SEIT JAHRZEHNTEN

In der Folge des Syrien-Konflikts und der fortgesetzten politischen Krisen ist das Land von einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen seit Jahrzehnten betroffen. Seit Herbst vergangenen Jahres hatte es im Libanon immer wieder Demonstrationen gegen Misswirtschaft und Korruption gegeben, in dessen Folge Hariris Regierung zurücktrat. Offiziellen Angaben zufolge leben inzwischen mehr als 45 Prozent der Libanesen unter der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 35 Prozent. Ständige Strom- und Wasserausfälle machen der Bevölkerung zudem das Leben schwer. 

Die Regierung von Ministerpräsident Hasan Diab nahm erst im Januar ihre Arbeit auf und bemüht sich seitdem um internationale Unterstützung. Das Land braucht laut Angaben der Regierung mehr als 20 Milliarden Dollar (rund 17 Milliarden Euro) Finanzhilfen. Elf Milliarden Dollar wurden dem Libanon bei einer Geberkonferenz 2018 in Paris zugesagt, wegen ausbleibender Reformen aber nicht ausgezahlt.

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