Bundestags-Experten haben gegen Wahlrechtsreform Verfassungsbedenken

Symbolbild: Wahlen
Symbolbild: Wahlen

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages sieht bei der von Union und SPD geplanten Wahlrechtsreform verfassungsrechtliche Bedenken. Durch die geplante Regelung, wonach drei Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate für andere Parteien kompensiert werden sollen, „kann das Entstehen eines negativen Stimmgewichts nicht ausgeschlossen werden“, heißt es in dem Gutachten, das am Donnerstag in Berlin bekannt wurde. Der Bundestag soll am Abend über die umstrittene Reform abstimmen.

Ein „negatives Stimmengewicht“ bedeutet, dass in bestimmten Konstellationen eine Partei mehr Mandate bekommt, wenn sie weniger Zweitstimmen erhält. Diese Möglichkeit war nach einem solchen Fall bei der Bundestagswahl 2005 vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt worden. 

Durch den von der Koalition geplanten Verzicht auf den vollständigen Ausgleich von Überhangmandaten in Verbindung mit der geplanten Mandatsberechnung sei das erneute Entstehen einer solchen Konstellation „bei einer der nachfolgenden Bundestagswahlen damit nicht unwahrscheinlich“, schrieben nun die Bundestags-Experten.

In dem Gutachten wird weiter darauf hingewiesen, dass aus dem Gesetz nicht klar hervorgehe, wie die Regelung zum Nicht-Ausgleich der Überhangmandate gemeint ist. Es sei sowohl die Interpretation möglich, dass insgesamt drei Überhangmandate nicht ausgeglichen werden als auch, dass dies für jeweils drei Überhangmandate unterschiedlicher Parteien gilt. Die Regelung in dem Gesetzestext sei hierzu „nicht eindeutig“, heißt es.

Bei der zweiten Interpretation dürfte dies nach dem jetzigen Stand der Umfragen bedeuten, dass CDU und CSU zusammen sechs zusätzliche Mandate erhalten würden, ohne dass ein Ausgleich für die übrigen Parteien erfolgt. „Schließen sich Abgeordnete, die unterschiedlichen Parteien angehören, zulässigerweise zu einer Fraktion zusammen, kann diese Fraktion von Überhangmandaten beider Parteien profitieren“, heißt es dazu in dem Gutachten.

Skeptisch sind die Experten wiederum, was den mit der Reform angestrebten Effekt angeht, nämlich ein zu starkes Anwachsen der Mandatszahl durch Überhang- und Ausgleichsmandate zu vermeiden. Umgerechnet auf das Wahlergebnis von 2017 würde durch die in bestimmtem Maße vorgesehene länderübergreifende Verrechnung von Direkt- und Listenmandaten die Gesamtzahl der Abgeordneten lediglich von 709 auf 700 sinken.

Zusammen mit dem Nicht-Ausgleich der Überhangmandate wäre damit auf Grundlage des Ergebnisses von 2017 ein Wegfall von bis zu 27 Mandaten möglich gewesen, heißt es weiter. Dies würde dann gelten, wenn die Klausel auf mehrere Parteien angewandt wird. 

Werden nur insgesamt drei Überhangmandate nicht ausgeglichen, so verringert sich der Einspareffekt. Sein Ausmaß hängt dann zudem davon ab, bei welcher Partei oder welchen Parteien der Nicht-Ausgleich erfolgt.

Befürwortet wird das zur Abstimmung stehende Reformmodell in erster Linie von CDU und CSU, die auch voraussichtlich allein von der Regelung zu den Überhangmandaten profitieren dürften. Alle Oppositionsfraktionen lehnen das Reformmodell ab. Die SPD sieht den Gesetzentwurf nach Angaben ihres Fraktionschefs Rolf Mützenich „nicht mit Euphorie“, will den in der Koalition ausgehandelten Kompromiss aber dennoch mittragen.

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