Knapp 380 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus listet der am Dienstag vorgelegte Lagebericht bei Polizeibehörden und Geheimdiensten auf. Hinzu kommen über 1000 Fälle bei der Bundeswehr. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sieht darin eine „geringe Fallzahl“. Doch es gibt starke regionale Unterschiede. Zumeist handelt es sich um rechtsextreme oder antirassistische Hetze in einem Chat.
Wie viele Fälle sind erwiesen?
Ganze 34 Fälle sind bislang bewiesen. Dabei geht es um 22 Polizeibeamte, elf Bundeswehrangehörige und einen Mitarbeiter des Zolls. Knapp die Hälfte (44 Prozent) agierte ohne Einbindung in einen Personenzusammenschluss, 53 gehören einer rechtsextremistischen Partei oder Gruppierung an.
Wie verteilen sich die Fälle auf die Bundesländer?
Die meisten der 319 Fälle aus den Ländern entfielen mit 59 auf Hessen, gefolgt von Berlin mit 53 und Nordrhein-Westfalen mit 45. Auf Bayern entfielen 31 Vorkommnisse, auf Sachsen 28 und auf Baden-Württemberg 23. Brandenburg und Bremen wiesen jeweils 18 Fälle auf, Niedersachsen 16.
Mecklenburg-Vorpommern registrierte 15 Vorkommnisse. Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt erfassten jeweils neun Fälle, Thüringen registrierte fünf. In Hamburg gab es vier Meldungen, in Schleswig-Holstein drei. Das Saarland stellte keinen Fall fest.
Welche konkreten Vorfälle wurden bislang bekannt?
Schon vor der jetzigen Veröffentlichung des Berichts waren zahlreiche Fälle bekannt geworden, zumeist aus den drei am stärksten betroffenen Ländern.
Hessen
Bereits Ende 2018 wurde bei der Polizei in Frankfurt am Main ein Netzwerk rechtsextremer Beamter entdeckt. Eine Rechtsanwältin, die eine Opferfamilie im Prozess gegen die rechtsextreme Terrorgruppe NSU vertreten hatte, hatte Drohbriefe erhalten. Dabei wurden Daten aus Polizeicomputern genutzt. Nach internen Ermittlungen sprachen die Sicherheitsbehörden später sechs Kündigungen oder Entlassungen aus.
„NSU 2.0“
Fast hundert rechtsextreme Drohschreiben mit dem Absender „NSU 2.0“ beschäftigen seit 2018 die Ermittler – der Name lehnt sich an die für zehn Morde und zwei Bombenanschläge verantwortliche rechtsextreme Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) an. Die Absender der Schreiben griffen ebenfalls auf Polizeicomputer zu und nutzten dabei vertrauliche Daten.
Zu den Empfängerinnen der „NSU-2.0“-Schreiben gehört auch die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler. Von Wiesbaden aus werden die Ermittlungen geführt, Spuren führen auch nach Hamburg und Berlin.
Berlin
Hier wurde eine rassistische Chatgruppe bekannt, in der laut ARD-Magazin „Monitor“ auch offen Sympathien für Neonazis geäußert wurden – und zwar als „Verbündete“ gegen linksgerichtete Demonstranten. Zudem sollen Muslime als „fanatische Primatenkultur“ bezeichnet und Flüchtlinge mit „Vergewaltigern“ oder „Ratten“ gleichgesetzt worden sein. An dem Chat sollen über Jahre hinweg mehr als 25 Beamte einer Dienstgruppe der Berliner Polizei beteiligt gewesen sein.
Nordrhein-Westfalen
Allein in Mülheim an der Ruhr wurden Mitte September 30 Beamte des Polizeipräsidiums Essen wegen rechtsextremistischer Hetze in privaten Chatgruppen vom Dienst suspendiert. Zudem stehen drei Mitglieder eines Observationsteams des NRW-Verfassungsschutzes unter Rechtsextremismus-Verdacht. Ein vierter Verdächtiger, Mitglied der Polizeiabteilung des Innenministeriums, soll auf Facebook Kontakt zu Rechtsextremen gehabt haben.
Mecklenburg-Vorpommern
Im Zuge von Ermittlungen wegen rechtsextremistischer Chats wurden im Nordosten zwei Polizisten vom Dienst suspendiert.
Sachsen
Die Leipziger Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf Rechtsextremismus gegen einen Beamten in ihren eigenen Reihen. Auch er soll sich in einem Chat rechtsextremistisch und rassistisch geäußert haben.
Welche Fälle gibt es im Bereich des Bundes?
Die meisten der 58 Fälle aus dem Bereich des Bundes entfallen auf die Bundespolizei – nämlich 44. Beim Bundeskriminalamt (BKA) wurden sechs Fälle bekannt, beim Bundesnachrichtendienst zwei, sowie beim Bundesverfassungsschutz und der Polizei des Bundestages jeweils einer. Bei der Zollverwaltung sind es vier. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) erfasste 1064 Verdachtsfälle aus der Bundeswehr. Allein 2019 wurden 363 Fälle neu aufgenommen.