Im Prozess um den Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale hat die Bundesanwaltschaft eine lebenslange Freiheitsstrafe für den Angeklagten Stephan B. gefordert. „Der Angriff auf die Synagoge in Halle war einer der widerwärtigsten antisemitischen Akte seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagte Bundesanwalt Kai Lohse am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Naumburg (OLG).
Die Bundesanwaltschaft will zudem die besondere Schwere der Schuld feststellen lassen, was eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren unwahrscheinlich macht. Zudem beantragten die Ankläger die anschließende Sicherungsverwahrung. B. sei ein „fanatisch-ideologischer Einzeltäter“ und bleibe weiterhin gefährlich, begründete Lohse die Forderung.
In dem rund vierstündigen Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft sagte Lohse, der Anschlag stelle „einen tiefen Einschnitt“ dar. B. habe aus einer „rassistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Ideologie“ und aus teils frauenfeindlichen Motiven Menschen das Lebensrecht abgesprochen. Die Tat des Angeklagten habe sich nicht nur gegen die Menschen in der Synagoge und „jüdisches Leben in Deutschland insgesamt“ gerichtet.
„Der Täter wollte uns alle treffen“, sagte Lohse im Landgericht Magdeburg, wo aus Sicherheits- und Platzgründen verhandelt wird. B. sei von „antijüdischem Hass“ getrieben und habe in dem jüdischen Gotteshaus „ein Blutbad anrichten“ wollen. Der Bundesanwalt verglich den Anschlag vom 9. Oktober 2019 mit einem „Alptraum“, an dessen Ende „der Täter zwei Menschen ermordet und zahlreiche verletzt und traumatisiert“ habe.
Trotz seines weitgehenden Geständnisses habe B. weder Einsicht noch Reue gezeigt und stattdessen die Opfer weiter herabgesetzt. Er sei mit „erheblicher krimineller Energie“ vorgegangen und habe möglichst viele Menschen töten wollen.
Bei vielen der Opfer habe diese „verabscheuungswürdige Tat“ bleibende Spuren hinterlassen. Bei vielen sei aber auch „ein ‚Jetzt erst recht‘ spürbar und der Wille, sich von antisemitischem und rassistischem Terror nicht beeindrucken zu lassen“, sagte Lohse.
Laut Anklage soll B. am 9. Oktober vergangenen Jahres während der Feierlichkeiten zum jüdischen Feiertag Jom Kippur versucht haben, bewaffnet in die Synagoge in Halle einzudringen und die dort versammelten Menschen zu töten.
Als ihm dies nicht gelang, erschoss der 28-Jährige auf offener Straße eine zufällig vorbeilaufende Passantin und einen jungen Mann in einem Dönerimbiss. Auf der anschließenden Flucht verletzte er weitere Menschen, bevor er gefasst werden konnte.
Angesichts der tödlichen Schüsse auf die Passantin vor der Synagoge sprachen Vertreter der Bundesanwaltschaft von einem „blindwütigen Tötungswahn“. Die Tötung des jungen Manns in dem Dönerimbiss sei „hinrichtungsartig“ gewesen. Nach dem fehlgeschlagenen Anschlag auf die Synagoge habe B. auf alles schießen wollen, „was ihm sprichwörtlich vor die Flinte kam“.
Der Bundesanwaltschaft zufolge machte sich B. des zweifachen Mordes, des mehrfachen Mordversuchs, der Volksverhetzung, der Leugnung des Holocausts und weiterer Tatvorwürfe schuldig.
Nach der Bundesanwaltschaft werden die mehr als 20 Anwälte der Nebenkläger, die unter anderem viele Menschen vertreten, die zum Tatzeitpunkt in der Synagoge waren, ihre Plädoyers halten. Anschließend hat die Verteidigung das Wort. Es wird damit gerechnet, dass sich die Schlussvorträge über mehrere Verhandlungstage hinziehen. Mit einem Urteil ist im Dezember zu rechnen.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte am Rande des Prozesses in Magdeburg, der Prozess sei eine „große Chance, um eine Debatte zu führen über Antisemitismus in der Gesellschaft“. Er zeige zugleich, „wie gefährlich die Radikalisierung im Internet ist“.