Der Hauptangeklagte im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist einem Bericht zufolge schuldfähig. Der Psychiater Norbert Leygraf sehe bei Stephan E. die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung, berichtete das Magazin „Der Spiegel“ unter Berufung auf eine vorläufige Fassung des Gutachtens laut Vorabmeldung vom Freitag. E. habe demnach einen Hang zur Begehung schwerer Straftaten.
Leygraf bezweifle, dass sich E. über mehrere Jahre von seiner ausländerfeindlichen Einstellung gelöst habe. Ein derartig verfestigtes inneres Wertesystem entwickle sich oft zu einem festen Bestandteil der Persönlichkeit. Der Gutachter halte es für wahrscheinlicher, dass sich E. nur zurückhielt, um seine zwischenzeitlich aufgebaute bürgerliche Existenz nicht zu gefährden.
Die Bereitschaft, aus seiner Ausländerfeindlichkeit heraus auch schwere Straftaten zu begehen, habe sich nicht verändert. Leygraf habe offenbar keinen grundlegenden Wandel der Einstellung und Überzeugungen bei E. erkannt.
Die Familie Lübcke lege hingegen neue Beweise gegen den Nebenangeklagten Markus H. vor, der im Oktober mangels Beweisen an einer Beihilfe aus der Untersuchungshaft entlassen worden war. Wenige Stunden nach Aufhebung des Haftbefehls habe der Sprecher der Familie eine Mail von E.s ehemaligem Verteidiger Frank Hannig erhalten, berichtete der „Spiegel“ ohne Hannigs Namen zu nennen. Darin habe der während des Prozesses abgesetzte Anwalt die Haftentlassung als „Fehlentscheidung des Oberlandesgerichts“ bezeichnet.
„Das müssen wir so verstehen, als habe er durch die Gespräche mit E. die Überzeugung und vielleicht sogar Belege dafür, dass Markus H. an dem Mord beteiligt und insbesondere auch in der Tatnacht vor Ort in Wolfhagen-Istha war“, sagte Dirk Metz, der Sprecher der Familie dem „Spiegel“. Versuche, mit dem Anwalt in Kontakt zu treten, seien gescheitert.
Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni 2019 tot auf der Terrasse seines Wohnhauses im nordhessischen Wolfhagen-Istha gefunden worden. E. soll ihn aus rechtsextremen Motiven getötet haben. Im Oktober stellte der Senat ein mögliches Urteil im Prozess für den 1. Dezember in Aussicht.