Führende Wirtschaftsforscher erwarten durch den November-Lockdown in Teilen der Wirtschaft eine Konjunkturdelle – verteidigen ihn aber als notwendig. Die Restriktionen dürften zu einem Wirtschaftseinbruch um ein Prozent im vierten Quartal führen und „in den unmittelbar betroffenen Branchen einen Ausfall von knapp 20 Milliarden Euro verursachen“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) vom Dienstag.
Mittelfristig jedoch dürften die Einschränkungen die Wirtschaft schützen, „vor allem, wenn sie zu einem schnelleren Ende und einer besseren Begrenzung der zweiten Infektionswelle beitragen“, sagte DIW-Präsident Fratzscher weiter.
Ifo-Chef Clemens Fuest sagte der Zeitung, wahrscheinlich werde das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal durch die neuen Restriktionen auf einen Wert nahe null sinken. „Die wirtschaftliche Erholung kommt also zum Stillstand.“ Trotzdem hält auch er es für falsch, die Maßnahmen als wirtschaftlich schädlich anzusehen: „Sie sind eher eine Investition in die Vermeidung schärferer Lockdown-Maßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt, die unvermeidbar wären, wenn man die Infektionszahlen weiter steigen lässt.“
Auch die sogenannten Wirtschaftsweisen erwarten nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ durch den November-Lockdown in Gastgewerbe, Kultur und Sport „vergleichsweise glimpfliche ökonomische Folgen“. Nach ihrer Rechnung werde die Wirtschaftsleistung in diesem sowie im kommenden Jahr nach jetzigem Stand nur um je 0,2 Prozent gedrückt, berichtete die Zeitung unter Berufung auf das Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, das offiziell am Mittwoch vorgestellt werden soll.
Der Rat der Wirtschaftsweisen erwartet demnach, „dass die Infektionen mit weniger Beschränkungen als im Frühjahr unter Kontrolle gehalten werden können und die internationalen Lieferketten nicht wesentlich gestört werden“. Für das Gesamtjahr gehen sie dem Bericht zufolge nunmehr von einem Wirtschaftseinbruch um 5,1 Prozent aus, einem geringereren Schaden als bislang befürchtet – und auch geringer als nach der Finanzkrise 2008.
Trotz der vergleichsweise optimistischen Prognosen: Zahlreiche Unternehmen benötigen angesichts des neuen Lockdowns zügig Hilfen. Deren Vergabe „sollte mit einer Pflicht zur Beschäftigungssicherung einhergehen“, sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, der „NOZ“. Er drängte darauf, die deutsche Wirtschaft „auch nachhaltig auf stabile Beine zu stellen und die anstehenden Transformationsprozesse gerecht zu gestalten“. Damit sie „resilienter, klimafreundlicher werden und gute, tarifgebundene Arbeitsplätze bieten“ könne, sei es notwendig, schon jetzt mit einem auf zehn Jahre angelegten Zukunftsinvestitionsprogramm zu beginnen.
Das Aktionsbündnis #AlarmstufeRot der Veranstaltungswirtschaft kritisierte das November-Hilfsprogramm der Bundesregierung als zehn Milliarden Euro teuren „Etikettenschwindel“. Während „für die breite Öffentlichkeit gut sichtbare Bereiche wie Theater, Kinos und Gastronomie“ 75 Prozent ihres Novemberumsatzes 2019 erhielten, falle eine „riesige Zahl nichtsichtbarer Zulieferer und Dienstleister“ wegen bewusst unrealistischer Zulassungshürden hinten über. „Fast 90 Prozent der Betriebe der deutschen Veranstaltungswirtschaft wird jede Hilfe verwehrt“, erklärte das Bündnis.