Im Pariser Prozess um die Anschläge rund um die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ vor fast sechs Jahren wird am Mittwochnachmittag das Urteil erwartet. Den beiden Hauptangeklagten drohen als „Komplizen“ der Attentäter lebenslange Haftstrafen, zwölf weiteren mindestens fünf Jahre Haft wegen „Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe“. Nicht alle Fragen konnten in dem bisher größten Verfahren um islamistische Anschläge in Frankreich geklärt werden.
Das liegt vor allem an den Angeklagten: Die drei Attentäter, die im Januar 2015 „Charlie Hebdo“ sowie einen jüdischen Supermarkt in Paris überfielen und insgesamt 17 Menschen töteten, konnten nicht mehr vor Gericht aussagen – sie wurden nach den Anschlägen von der Polizei erschossen.
Vor dem Pariser Sonderschwurgericht mussten sich dafür 13 Männer und eine Frau verantworten. In ihnen sieht die Anklage wichtige „Stützen“ und „Triebfedern“ der Attentate, hinter denen Al-Kaida im Jemen und die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) vermutet werden.
Die Angeklagten sollen die Brüder Chérif und Saïd Kouachi unterstützt haben, die am 7. Januar 2015 zwölf Menschen bei „Charlie Hebdo“ töteten. Zudem sollen die Verdächtigen dem mit den Brüdern befreundeten Islamisten Amédy Coulibaly geholfen haben. Er tötete am 8. und 9. Januar 2015 eine Polizistin in einem Pariser Vorort und vier weitere Menschen bei der Geiselnahme in dem Supermarkt „Hyper Cacher“.
Die Angeklagten beriefen sich in dem Verfahren mehrheitlich auf Erinnerungslücken. Der Hauptangeklagte Ali Riza Polat wurde sogar ausfällig, was die Antiterror-Staatsanwaltschaft in ihrer Forderung nach lebenslanger Haft bestärkte. Sie hält ihn für Coulibalys „rechte Hand“ und ist überzeugt, dass er „genaue Kenntnis von dessen Terrorvorhaben hatte“, wie der Generalanwalt sagte. Für Coulibaly und die Kouachi-Brüder soll er zudem Waffen beschafft haben.
Der 35-jährige Franzose mit türkischen Wurzeln machte vor Gericht wiederholt mit Wutanfällen und Drohungen von sich reden. Einer Polizistin, die gegen ihn aussagte, zischte er zu: „Dafür wirst du bezahlen.“
Ebenfalls lebenslänglich droht dem womöglich in Syrien getöteten Mohamed Belhoucine, das Urteil gegen ihn hat deshalb vor allem symbolische Bedeutung. Er soll für die Radikalisierung Coulibalys verantwortlich sein, den er im Gefängnis kennenlernte. Belhoucine soll ihm Kontakte zur IS-Miliz ermöglicht und seinen Treueschwur zu den Extremisten verfasst haben.
Außergewöhnlich war das Verfahren nicht nur wegen seiner 54 Verhandlungstage und der einmonatigen Unterbrechung wegen Corona-Infektionen – darunter bei dem Hauptangeklagten Polat. Eindringlich wurde zudem an die grauenhaften Szenen erinnert, die Anfang 2015 unter dem Schlagwort „Je suis Charlie – Ich bin Charlie“ in der ganzen Welt Entsetzen wie Anteilnahme hervorriefen. Die überlebende Karikaturistin Corinne Rey alias Coco etwa schilderte die Todesangst, die sie bei dem Angriff auf das Satireblatt durchlitt.
Vor allem aber rief die Wiederveröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in „Charlie Hebdo“ zu Prozessbeginn erneut wütende Proteste und Morddrohungen aus muslimisch geprägten Ländern hervor. Und es folgten weitere Anschläge – unter anderem der Mord an einem Lehrer bei Paris, der die Karikaturen im Unterricht gezeigt hatte. Präsident Emmanuel Macron bekannte sich daraufhin im Namen Frankreichs zur Meinungsfreiheit, was Boykottaufrufe in Pakistan und anderen Ländern zur Folge hatte.
Dem politisch aufgeheizten Prozess haben sich rund 200 Menschen als Zivilkläger angeschlossen, darunter Überlebende und Angehörige der Anschlags-Opfer. Um „Vergeltung“ gehe es ihnen nicht, betonten sie vor Gericht, sondern um „Gerechtigkeit“.
Die Verteidigung nannte die Beweisführung der Anklage „bröckelig“und „hohl“. Freisprüche in dem Prozess wären dennoch eine Überraschung.