US-Polizei versagt bei Sturm von Trump-Anhängern auf Kapitol

US-Polizei - Bild: Chalabala via Twenty20
US-Polizei - Bild: Chalabala via Twenty20

Ein Mob stürmt das Parlament, treibt Senatoren und Abgeordnete in die Flucht, zieht randalierend eine Schneise der Verwüstung – und hat dann noch Zeit für Triumph-Fotos in den Hallen der Demokratie. Zustände wie in einer „Bananenrepublik“, zeigt sich ein Ex-Präsident fassungslos.

Doch die unglaublichen Szenen spielen sich nicht in einem abgelegenen Inselstaat ab, sondern in der laut Selbstwahrnehmung großartigsten Demokratie der Welt: Die Erstürmung des US-Kapitols durch militante Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump ist eine Schmach und Blamage für die Weltmacht USA – und zeugt von einem eklatanten Versagen der Sicherheitskräfte. Nicht nur der frühere Präsident George W. Bush, wie Trump ein Republikaner, greift auf das abschätzige Bild der Bananenrepublik zurück.

Über Stunden konnten die Trump-Anhänger am Mittwoch vor dem Kapitol und im Kongressgebäude, in dem sich hunderte Parlamentarier und Vizepräsident Mike Pence aufhielten, schalten und walten wie sie wollten. Die Sicherheitsvorkehrungen waren vollkommen unzureichend, die Demonstranten überrannten die eingesetzten Polizisten ohne große Mühe.

Es kam zu tumultartigen Szenen – und Blutvergießen: Eine eingedrungene Demonstrantin wurde im Kapitol von der Polizei erschossen. Im Umfeld der Randale gab es drei weitere Todesfälle. Zahlreiche Polizisten wurden bei den Auseinandersetzungen verletzt. Erst nach und nach traf Verstärkung ein, einschließlich der schon im Vorfeld angeforderten Nationalgarde.

Das Versagen der Sicherheitskräfte dürfte eine parlamentarische Untersuchung nach sich ziehen, aber schon jetzt werden Rufe nach Konsequenzen laut: „Ich denke, es ist ziemlich klar, dass einige Leute sehr, sehr bald arbeitslos sein werden“, sagte der demokratische Abgeordnete Tim Ryan. Das Vorgehen der Polizei sei eine „Peinlichkeit“.

Offenbar hatten die Sicherheitsbehörden die Lage vollkommen unterschätzt oder den Ernst der Lage nicht sehen wollen. Tausende Trump-Anhänger hatten sich am Mittwoch in Washington versammelt, an jenem Tag also, an dem der gesamte Kongress formell den Wahlsieg des künftigen Präsidenten Joe Biden bestätigen sollte. 

Trump, der das verhindern wollte, heizte die Menge höchstpersönlich ein: „Wir werden zum Kapitol marschieren“, rief er seinen Anhängern zu. Nicht durch „Schwäche“, nur durch „Stärke“ könne das Land zurückerobert werden.

Vor dem Kapitol lieferte sich die Menge bald heftige Auseinandersetzungen mit der Capitol Police, die für die Sicherheit des Kongresses verantwortlich ist. Schnell konnten militante Aktivisten aufgestellte Barrikaden überwinden und in das Gebäude eindringen. Während sich einige Polizisten dem Mob vergeblich entgegenstellten, blieben andere Beamte Medienberichten zufolge passiv oder schienen sogar Sympathien mit den Eindringlingen zu zeigen.

Ein Internetvideo scheint gar zu zeigen, dass Polizisten eine Absperrung für Trump-Anhänger entfernten. Auch als massive Verstärkung eingetroffen war, blieb die Polizei äußerst zurückhaltend. Es gab sogar Aufnahmen davon, wie ein Eindringling ein Selfie mit einem Beamten machte.

Viele Kommentatoren machten auf den starken Gegensatz zum Vorgehen der Polizei bei den Black-Lives-Matter-Protesten im Frühjahr und Sommer aufmerksam: Die Polizei war vielerorts mit großer Härte gegen Demonstranten vorgegangen, die gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze protestierten. So vertrieben Polizisten im Juni nahe des Weißen Hauses friedliche Demonstranten mit brachialer Gewalt.

„Wenn wir Schwarze für unser Leben protestieren, werden wir von Nationalgardisten oder Polizisten mit Sturmgewehren, Tränengas und Kampfhelmen empfangen“, beklagte die Black-Lives-Matter-Bewegung. Wenn Weiße dagegen einen „Putsch“ versuchen würden, würden sie von einer geringen Zahl tatenloser Polizisten empfangen. Hätten Schwarze das Kapitol gestürmt, wären sie „mit Tränengas attackiert, niedergeknüppelt und vielleicht niedergeschossen worden“.

Die Trump-Anhänger hingegen stießen bei ihrem Sturm auf das Herz der US-Demokratie kaum auf Gegenwehr. Der 6. Januar 2021 wird nicht nur als schwarzer Tag für die US-Demokratie in die Geschichte eingehen – sondern auch für ein beispielloses Versagen der Polizei in Erinnerung bleiben.

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