Paris und Berlin streiten über „nachhaltige“ Atomkraft

Atomkraftanlage - Bild: Zahlen via Twenty20
Atomkraftanlage - Bild: Zahlen via Twenty20

Für die geplante Klimaneutralität der EU hält Frankreich die Atomenergie für unverzichtbar – und erntet dafür Widerspruch aus Berlin. Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagte, Europa werde die CO2-Neutralität bis 2050 „nicht ohne die Kernkraft erreichen“. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) erklärte dagegen am Montag: „Eine Energieform, die nachfolgenden Generationen dauerhaft immens hohe Kosten und Gefahren aufbürdet, kann nicht nachhaltig sein.“

In dem deutsch-französischen Streit geht es um EU-Fördermittel für „nachhaltige“ Investitionen. Dabei verfolgt Berlin seine eigene Agenda. Denn Deutschland betrachtet moderne Gas-Kraftwerke als Übergangstechnologie und will sie entsprechend fördern lassen. Frankreich und sechs osteuropäische EU-Länder, darunter Polen und Tschechien, wollen hingegen neue Atomkraftwerke als nachhaltig und förderwürdig einstufen lassen.

Le Maire räumte gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montagsausgaben) ein, der Konflikt sei „intensiv“. Deutschland hat den Atomausstieg bis Ende 2022 beschlossen. Frankreich hingegen deckt weiter mehr als 70 Prozent seines Energiebedarfs durch Atomkraft – das ist der höchste Anteil weltweit, noch vor den USA.

Bis zum Jahr 2035 soll der Anteil in Frankreich zwar auf 50 Prozent sinken, derzeit baut das Land aber einen Druckwasserreaktor neuen Typs im nordfranzösischen Flamanville. Er soll trotz Sicherheitsbedenken der Pariser Atomaufsicht und nach einer Explosion der Kosten auf mehr als zwölf Milliarden Euro Ende 2022 ans Netz gehen.

„Kein Wunder, dass Frankreich angesichts der desolaten Finanzlage seiner Nuklearwirtschaft die Atomkraft als unentbehrlich erklärt“, erklärte die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, die Grünen-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl. „Die Einstufung von Atomenergie als nachhaltige Geldanlage würde dringend benötigte Milliarden in die Kassen der Atomkonzerne spülen.“

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch und der Chef der Naturfreunde Deutschlands, Michael Müller, forderten in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenportal „t-online“ analog zur CO2-Bepreisung „ein Preissignal für Atomkraftwerke, das die immensen Folgekosten und Risiken der Atomkraft abbildet“.

Die EU-Kommission hat in dem Tauziehen noch nicht entschieden – sie hatte die Bewertung von Atom- wie Gasenergie am vergangenen Mittwoch in einem Rechtsakt zur Definition grüner Finanzprodukte ausgespart.

Unterdessen dringt Frankreich weiter auf eine Grenzsteuer für Kohlendioxid (CO2), wie sie bereits Präsident Emmanuel Macron in seiner Rede an der Sorbonne-Universität 2017 skizziert hatte. Die neue Abgabe werde im Zentrum der französischen EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1.  Januar 2022 stehen, kündigte Le Maire an.

Mit der CO2-Grenzsteuer soll verhindert werden, dass Firmen aus Nicht-EU-Staaten, die keine oder nur niedrige Klimaziele haben, die europäischen Produzenten unterbieten. Die Bundesregierung hat bisher zurückhaltend auf die Pläne reagiert und verweist auf die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO).

Die EU hatte sich am Mittwoch auf neue Klimaziele geeinigt. Die EU-Staaten und das Europaparlament beschlossen, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2030 um „mindestens 55 Prozent“ zu senken. Das europäische Klimagesetz schreibt zudem fest, dass die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden soll.

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