Die durch den Fall des inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny ausgelösten Spannungen zwischen der EU und Russland verschärfen sich weiter. Als Reaktion auf EU-Sanktionen verhängte Russland am Freitag Strafmaßnahmen gegen acht Europäer, darunter Einreisesperren, wie das Außenministerium in Moskau mitteilte. Die Regionalbüros des Oppositionellen wurden unterdessen von der russischen Finanzaufsicht als „extremistisch“ eingestuft. Ein am Freitag festgenommener Nawalny-Anwalt wurde am Abend unter Auflagen wieder freigelassen.
Zu den Betroffenen der russischen Strafmaßnahmen gehören EU-Parlamentspräsident David Sassoli und der Berliner Oberstaatsanwalt Jörg Raupach. Sassoli reagierte mit Humor: „Scheinbar bin ich im Kreml nicht willkommen? Ich hatte es schon ein wenig vermutet“, schrieb er beim Onlinedienst Twitter. „Keine Sanktionen oder Einschüchterungen werden das EU-Parlament oder mich daran hindern, Menschenrechte, Freiheit und Demokratie zu verteidigen“, fügte er hinzu.
In einer gemeinsamen Erklärung verurteilten Sassoli, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel die Maßnahme. Sie sei „inakzeptabel“ und entbehre jeder rechtlichen Grundlage. Die Entscheidung sei die jüngste eindrückliche Demonstration dafür, dass Russland die Konfrontation mit der EU gewählt habe, anstatt die negative Entwicklung der Beziehungen zu korrigieren.
Der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), sprach Sassoli seine „volle Solidarität“ aus. „Herr Putin, Sie können so viele (Mitglieder des EU-Parlaments) sanktionieren wie Sie wollen, aber Sie werden uns nicht zum Schweigen bringen“, schrieb Weber bei Twitter.
Das Außenministerium in Moskau warf der EU hingegen vor, „einseitige, illegitime“ Einschränkungen gegen russische Bürger und Organisationen verhängt zu haben. „Wahres Ziel“ dieser Maßnahmen sei es, „die Entwicklung unseres Landes um jeden Preis zu behindern“. Mit Sanktionen belegt wurden auch Bürger aus Frankreich, Estland und Lettland. Die EU hatte Anfang März Strafmaßnahmen gegen vier leitende Mitarbeiter des russischen Justizsystems verhängt.
Unklar blieb zuletzt, ob die Einordnung der Regionalbüros des Oppositionellen Nawalnys als „terroristisch“ und „extremistisch“ durch die Finanzaufsichtsbehörde Rosfinmonitoring am Freitag mit einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft in Verbindung standen. Diese hatte Mitte April die Einstufung der Anti-Korruptionsstiftung FBK und der Regionalbüros als „extremistisch“ beantragt, was einem Verbot gleichkäme.
Die Regionalbüros spielen bei Wahlen eine große Rolle. Sie rufen zu „intelligentem Wählen“ auf, also unabhängig von der Partei für jenen Kandidaten zu stimmen, der die besten Aussichten gegen den Kreml-treuen Kandidaten hat. Die Zustimmungswerte der Partei Geeintes Russland von Staatschef Wladimir Putin sind vor der Parlamentswahl im September derzeit so schlecht wie selten.
Die russischen Behörden nahmen am Freitag zudem den bekannten Menschenrechtsanwalt Iwan Pawlow fest, der auch Nawalny und dessen Organisationen vertritt. Pawlow wurde nach einer Durchsuchung in Moskau in Gewahrsam genommen, wie es auf der Website seiner Organisation Team 29 hieß. Am Abend kam Pawlow wieder frei, ihm wurde jedoch die Nutzung des Internets sowie Kontakt zu Zeugen in seinem Fall verboten.
Pawlow wird laut seiner Organisation vorgeworfen, Informationen aus einem Ermittlungsverfahren preisgegeben zu haben. Dabei soll es um den Fall des ehemaligen Journalisten Iwan Safronow gehen, der im vergangenen Juli festgenommen wurde. Dem auf Verteidigungsthemen spezialisierten Journalisten wird angelastet, vertrauliche Dokumente an Tschechien weitergegeben zu haben.
Nawalny hatte im vergangenen August einen Anschlag in Sibirien mit einem Nervengift überlebt. Der prominente Gegner von Russlands Präsident Wladimir Putin macht den Kreml für die Tat verantwortlich. Nawalny wurde nach dem Anschlag nach Deutschland ausgeflogen und in der Berliner Charité behandelt. Nach seiner Rückkehr nach Russland im Januar wurde er festgenommen und später wegen angeblicher Verstöße gegen Bewährungsauflagen zu mehr als zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt.