Die Ausgangssituation für SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist nicht gut, sein Selbstbewusstsein aber augenscheinlich intakt: „Ich kann das“, meldet der Finanzminister auf dem Bundesparteitag der Sozialdemokraten am Sonntag erneut seinen Anspruch auf die Regierungsführung an. „Ich kann meine Erfahrung, meine Kraft und meine Ideen einbringen. Als Regierungschef der Stadt Hamburg. Als Minister. Als Vizekanzler“, hebt er in seiner Rede hervor. Mit 96,2 Prozent der Stimmen bestätigen die Delegierten seine Kandidatur.
Die schlechten Umfragewerte der SPD, die in der Wählergunst um die 15 Prozent dahindümpelt, erwähnt Scholz nicht – lieber spricht er über seine politischen Ziele: „eine Gesellschaft des Respekts“, vorangebracht von einer „Zukunftsregierung“ in einer „breiten Allianz für einen neuen Fortschritt“. Dagegen sei die Union „ein Risiko für Wohlstand und Arbeitsplätze“ und den Grünen, die er nicht namentlich nennt, fehle es an praxisorientierter Politik.
Mit seinem offensiven Auftreten versucht Scholz der Gefahr entgegenzutreten, als derzeit abgeschlagener Dritter in einem Zweikampf zwischen CDU-Chef Armin Laschet und der dynamischen Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zerrieben zu werden. Dabei setzt Scholz auf traditionell sozialdemokratische Themen wie Arbeitnehmerrechte und faire Mieten. Mit dem Akzent auf Zukunftsthemen wie Klimaschutz und Digitalisierung bemüht sich der 62-Jährige aber auch um ein modernes und ökologisches Image.
Schließlich liegt in der Betonung seiner politischen Erfahrung auch die Gefahr, als Mann des „Weiter so“ wahrgenommen zu werden. Immerhin steht Scholz als Vizekanzler in der Mithaftung für die Regierungspolitik von Schwarz-Rot in den vergangenen Jahren und auch in den eigenen Reihen wurde der Parteirechte bislang nicht in erster Linie mit politischem Aufbruch in Verbindung gebracht.
Auf dem Parteitag erhält Scholz jedoch flügelübergreifend die volle Rückendeckung seiner Partei. „Jetzt geht es los mit der Aufholjagd“, sagt Generalsekretär Lars Klingbeil. „Er ist „in der bewegten Zeit, in der wir stehen, der Richtige“, betont SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, dem Scholz 2019 in einer Mitgliederbefragung um den Parteivorsitz unterlag. „Olaf Scholz ist bereit, Verantwortung zu übernehmen“, demonstriert auch Ko-Parteichefin Saskia Esken Geschlossenheit für den „klaren Kurs aufs Kanzleramt.
Der in Hamburg aufgewachsene Scholz blickt auf eine wechselvolle politische Karriere zwischen der Hansestadt und Berlin zurück. 1998 zog der Jurist erstmals in den Bundestag ein, 2001 wurde er für fünf Monate Innensenator in Hamburg. 2002 kehrte er in den Bundestag zurück und wurde im selben Jahr SPD-Generalsekretär. Sein steifer Redestil ließ damals das bissige Wort vom „Scholzomat“ aufkommen.
Nach Stationen als Parlamentsgeschäftsführer der Bundestagsfraktion und als Bundesarbeitsminister gelang Scholz im März 2011 der Sprung auf den Chefsessel des Hamburger Senats. Als Landes-Regierungschef verbuchte er einige Erfolge, doch die schweren Krawalle beim G20-Gipfel vor drei Jahren belasteten sein Image enorm. Im März 2018 wechselte er erneut nach Berlin und wurde Bundesfinanzminister sowie Vizekanzler.
Mit Vorwürfen musste er sich zuletzt in den Affären um Cum-Ex-Steuertricks in Hamburg und um den Wirecard-Skandal auseinandersetzen. Politik geht bei Scholz auch ins Private – verheiratet ist er mit der brandenburgischen Bildungsministerin Britta Ernst (SPD).
Für den Bundestagswahlkampf setzten die Sozialdemokraten auf die Strategie, mit der frühen Benennung von Scholz als Kanzlerkandidat die ersten auf dem Feld zu sein. Profitieren konnten sie davon bislang nicht. Nun soll der Parteitag ihm – mit den Worten Eskens – „Wind unter die Flügel geben“.