Nach der erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs in Minsk und der anschließenden Festnahme des Regierungskritikers Roman Protassewitsch haben die USA weitere Sanktionen gegen Belarus angekündigt. Washington arbeite an einer Liste „gezielter Sanktionen“ gegen wichtige Vertreter der Regierung von Machthaber Alexander Lukaschenko, teilte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Freitag mit. In Polen und Litauen demonstrierten am Samstag hunderte Menschen gegen Lukaschenko.
Die Strafmaßnahmen richteten sich gegen belarussische Vertreter, „die mit anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und Korruption, der Wahlfälschung 2020 und den Ereignissen vom 23. Mai in Verbindung gebracht werden“, erklärte Psaki. Bereits am kommenden Donnerstag sollen demnach Wirtschaftssanktionen gegen neun belarussische Staatsunternehmen in Kraft treten, die das Weiße Haus im April vor dem Hintergrund des brutalen Vorgehens der Behörden gegen oppositionelle Demonstranten angekündigt hatte.
Die Behörden in Belarus hatten vor rund einer Woche eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius mit einem Kampfjet zur Zwischenlandung in Minsk gezwungen. Anschließend nahmen sie den im Exil lebenden Journalisten und Regierungskritiker Protassewitsch und seine aus Russland stammende Partnerin Sofia Sapega fest.
Als Begründung nannte Minsk eine Bombendrohung, doch halten die USA und die EU die Erklärung für einen Vorwand. Als Reaktion hatten auch die EU-Staats- und Regierungschefs weitere Sanktionen gegen Belarus vereinbart.
In Polen und Litauen gingen am Samstag hunderte Menschen aus Solidarität mit der belarussischen Opposition auf die Straße. Die Menge rief „Lang lebe Belarus!“ und hielt Fahnen mit den rot-weißen Farben der Opposition hoch. Auf einer Kundgebung in der polnischen Hauptstadt Warschau baten Protassewitschs Eltern um internationale Hilfe. Sie appelliere an alle EU-Länder sowie die USA, „uns bei der Befreiung Romans“ und von dessen Partnerin zu helfen, sagte Protassewitschs Mutter Natalia.
Der Protest im litauischen Vilnius wurde von der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die im Exil in Litauen lebt, angeführt. Hunderte Demonstranten marschierten zur belarussischen Botschaft.
Die Spannungen zwischen Minsk und dem Westen hatten sich bereits nach der von massiven Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentschaftswahl in Belarus im vergangenen August verstärkt. Der zunehmend isolierte Lukaschenko holte sich am Freitag und Samstag Unterstützung bei Russlands Präsident Wladimir Putin, seinem letzten starken Verbündeten.
Am zweiten Tag seines Besuchs in der Schwarzmeer-Stadt Sotschi sprachen die beiden Staatschefs laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskow über die wirtschaftliche Kooperation ihrer Länder und den Kampf gegen die Corona-Pandemie, nutzten aber auch das „prima Wetter“ für eine Bootstour.
Um zusätzliche Wirtschaftshilfe bat Lukaschenko den Kreml demnach nicht. Er habe Putin „detailliert“ über die Vorgänge an Bord der Ryanair-Maschine informiert, fügte Peskow hinzu. Moskau habe erneut eine „umfassende Untersuchung“ des Vorfalls gefordert. Am Tag zuvor hatte der russische Staatschef Lukaschenko bereits darin zugestimmt, dass die „emotionale“ Reaktion des Westens auf die erzwungene Ryanair-Landung überzogen gewesen sei.
Zu Beginn des Treffens hatten beide Politiker die engen bilateralen Beziehungen ihrer Länder hervorgehoben. Im Rahmen der Russisch-Belarussischen-Union kooperieren Moskau und Minsk im Wirtschafts- und Verteidigungsbereich. Der Kreml pocht aber bereits seit längerem auf einen stärkeren Zusammenschluss beider Staaten.
EU-Parlamentspräsident David Sassoli geht davon aus, dass der Vorfall rund um die Ryanair-Maschine zu einem noch engeren Schulterschluss zwischen Minsk und Moskau führen wird. Der Einfluss Russlands auf Belarus sei schon immer sehr stark gewesen, sagte Sassoli den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Derzeit hänge aber die „politische Existenz“ Lukaschenkos von Putin ab.