Kanzleramt setzte sich für Wirecards Markteintritt in China ein

Bundeskanzleramt in Berlin
Bundeskanzleramt in Berlin

Im Wirecard-Skandal rückt immer mehr die Rolle der Politik in den Fokus. Im Herbst vergangenen Jahres setzte sich das Bundeskanzleramt für den Zahlungsdienstleister und dessen damals geplanten Markteintritt in China ein, wie eine Regierungssprecherin am Samstag der Nachrichtenagentur AFP bestätigte. Aus der CSU kommt zugleich scharfe Kritik an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und seiner Rolle in dem Skandal.

Im Bundeskanzleramt wurde Wirecard im vergangenen Herbst kurz vor einer China-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Thema. Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der sich für Wirecard einsetzte, sprach laut der Regierungssprecherin am 3. September 2019 mit  Merkel. Danach habe er eine E-Mail an Merkels Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller geschickt, in der er „über den beabsichtigten Markteintritt von Wirecard in China unter Beifügung eines Kurzsachstandes unterrichtet und um Flankierung im Rahmen der China-Reise gebeten“ habe.

Die Reise fand am 6. und 7. September 2019 statt. Am 8. September antwortete Röller den Angaben zufolge Guttenberg per E-Mail und teilte mit, „dass das Thema bei dem Besuch in China zur Sprache gekommen ist“. Er habe außerdem „weitere Flankierung zugesagt“, erklärte die Regierungssprecherin. Über den Vorgang hatte zuerst der „Spiegel“ berichtet.

Guttenberg hatte Wirecard bei dessen Expansion nach China mit seiner Investment- und Consultingfirma Spitzberg Partners beraten. Knapp zwei Monate nach seinem Austausch mit dem Kanzleramt gab Wirecard bekannt, dass es Anteile an der chinesischen Firma AllScore Payment Services erwerben werde.

Wirecard hatte Ende Juni dieses Jahres Insolvenz angemeldet, nachdem das Unternehmen eingestehen musste, dass in der Bilanz aufgeführte Barmittel von 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf asiatischen Bankkonten lagen, nicht auffindbar seien. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt in dem Fall. Es geht unter anderem um den Verdacht der Marktmanipulation.

In der Kritik stehen wegen Wirecard auch die Finanzaufsichtsbehörde Bafin und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Dieser war nach Angaben seines Ministeriums bereits am 19. Februar 2019 darüber unterrichtet worden, dass die Bafin bei Wirecard wegen Marktmanipulation ermittelt. 

Scholz trage „natürlich die Gesamtverantwortung dafür, wie in seinem Zuständigkeitsbereich mit dem Skandal umgegangen wurde“, sagte der Unions-Obmann im Finanzausschuss, Hans Michelbach (CSU), der „Passauer Neuen Presse“ vom Samstag. „Hätte er auf frühzeitige Hinweise reagiert, wäre der große Schaden für viele Anleger zu vermeiden gewesen.“

Michelbach kündigte eine Sondersitzung des Finanzausschusses zu dem Thema an. „Was jetzt als Allererstes nötig ist, ist vollständige und rückhaltlose Aufklärung seitens des Finanzministers und der Bafin“, sagte er der Zeitung.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans forderte als Konsequenz aus dem Skandal eine grundlegende Reform der Finanzkontrolle. Der Fall Wirecard sei „nicht der erste Anlass, bei dem Schwachstellen der Finanzaufsicht offengelegt werden“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Samstag. „Die Aufsicht muss mit der Entwicklung Schritt halten können. Sie muss schlagkräftiger und innovativer werden und auf der Höhe der Zeit agieren“, forderte Walter-Borjans. Dafür sei „eine Generalreform“ erforderlich.  

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