Die Verhängung von EU-Sanktionen im Fall Nawalny wird schwierig

Europäische Union - Bild: Mauro Bottaro
Europäische Union - Bild: Mauro Bottaro

Nach dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny werden die Rufe nach Sanktionen gegen Russland von Tag zu Tag lauter. Auch die EU-Mitgliedstaaten drohen geschlossen mit Strafmaßnahmen. Doch ob diese jemals beschlossen werden können, ist fraglich. 

Vor „restriktiven Maßnahmen“ gegen Moskau warnte die EU in ihrer Erklärung zu Nawalny vom Donnerstag. „Das ist Code für Sanktionen gegen Personen“, sagt ein EU-Diplomat. Dabei werden Verantwortliche identifiziert, denen dann die Einreise in die EU verboten und deren Konten in Europa gesperrt werden.

Für solche Strafmaßnahmen bei einem Giftanschlag gibt es bereits einen Präzedenzfall: Anfang 2019 setzte die EU vier Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU auf ihre Sanktionsliste. Grund war der Anschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal, der im März 2018 im britischen Salisbury wie jetzt Nawalny mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet wurde.

„Der Unterschied zum Fall Skripal ist, dass es damals klare Hinweise darauf gab, dass Agenten des GRU in Großbritannien waren“, sagt Steven Blockmans vom Brüsseler Zentrum für europäische Politikstudien (Ceps). Auf Grundlage britischer Ermittlungen habe es zudem „forensisches Beweismaterial für eine Beteiligung russischer Geheimdienste“ gegeben.

Dies fehle jedoch bisher bei dem Anschlag auf Nawalny in Russland, an dessen Aufklärung Moskau bisher wenig Interesse zeige, sagt Blockmans, der auch Professor für das Recht der EU-Außenbeziehungen ist: „Es gibt keinen rauchenden Colt.“

Bloße „Vermutungen“ reichten nach EU-Recht jedoch nicht aus, um gerichtsfeste Sanktionen gegen Personen zu verhängen, sagt der Jurist. Auch die Tatsache, dass das eingesetzte Gift Nowitschok vom sowjetischen Militär entwickelt wurde und nicht frei verfügbar sei, sei nicht ausreichend.

Es bliebe die Möglichkeit von Wirtschaftssanktionen, die stärker politisch motiviert sein können. Gegen Russland hat die EU nach dem Abschuss von Flug MH17 im Ukraine-Konflikt 2014 eine ganze Reihe solcher Strafmaßnahmen verhängt: Sie richten sich gegen Staatsbanken, den Im- und Export von Rüstungsgütern sowie die Öl- und Gasindustrie.

Wirtschaftssanktionen habe die EU in ihrer Erklärung zu Nawalny zwar „nicht explizit genannt, aber auch nicht explizit ausgeschlossen“, sagt der EU-Diplomat. Sie behalte sich darin das Recht vor, „geeignete Maßnahmen“ zu ergreifen, um Druck auf Russland auszuüben. Dies könnten auch Wirtschaftssanktionen sein.

Theoretisch könne die EU solche Sanktionen verhängen, wenn Russland sich weigere, im Fall Nawalny Ermittlungen einzuleiten, sagt Blockmans. Er zweifelt aber daran, dass es zu solchen Strafmaßnahmen kommt, die von den Mitgliedstaaten wie alle EU-Sanktionen einstimmig beschlossen werden müssten.

Die Debatten über die regelmäßig anstehende Verlängerung der Ukraine-Sanktionen habe bereits gezeigt, dass es für die EU nicht einfach sei, gegenüber Russland geschlossen aufzutreten, sagt Blockmans. Im Fall Nawalny geht er davon aus, „dass es für Wirtschaftssanktionen keinerlei politische Unterstützung von Ländern wie Italien oder Ungarn geben wird, die engere wirtschaftliche und politische Beziehungen zu Russland haben“. Auch Zypern sei ein möglicher Wackelkandidat.

Der Fall Nawalny facht unterdessen nicht nur in Deutschland die Debatte über die Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland wieder an. Diese steht auch in der EU seit Jahren in der Kritik, weil sie es Moskau ermöglicht, Gas nicht mehr durch die Ukraine und mehrere osteuropäische Mitgliedstaaten zu leiten. Diesen entgehen dadurch beträchtliche Durchleitungsgebühren.

Polen forderte nach Nawalnys Vergiftung erneut, das Projekt zu stoppen. Der Belgier Blockmans hält solche Rufe jedoch für „Wunschdenken“: „Ich glaube nicht, dass Deutschland so weit gehen wird.“

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