Geheimer Föten-Friedhof in Rom schockiert betroffene Frauen

Symbolbild: Friedhof
Symbolbild: Friedhof

Die kleinen Kreuze aus Metall und Holz auf Parzelle 108 des Flaminio-Friedhofs in Rom tragen alle Frauennamen. Doch nicht die Frauen wurden hier beerdigt, sondern ihre abgetriebenen Kinder – ohne Wissen und Zustimmung der Mütter.

Eine der Frauen entdeckte vergangenen Monat ihren Namen auf einem der Kreuze und postete ein Foto davon auf Facebook. Schnell verbreitete sich das Bild im Internet. Frauenrechtsorganisationen und betroffene Frauen reagierten entsetzt. Sie sind fassungslos, dass sie durch den Friedhof der Föten öffentlich bloßgestellt werden – obwohl sie gegen kein Gesetz verstoßen haben.

„Dass sich jemand die Leiche meiner Tochter angeeignet hat, eine Bestattung stattfand und sie unter einem Kreuz mit meinem Namen begraben wurde – diese Vorstellung reißt eine alte Wunde wieder auf“, sagt Francesca, eine der vielen betroffenen Frauen. Ihren Nachnamen möchte sie nicht veröffentlicht sehen. „Ich fühle mich von den Institutionen verraten.“

Etwa hundert Frauen, die in verschiedenen römischen Krankenhäusern abtreiben ließen, meldeten sich bei der Frauenrechtsorganisation Differenza Donna, seit der Skandal bekannt wurde. Die Aktivistinnen forderten die Staatsanwaltschaft auf zu ermitteln. Nächste Woche ist ein Treffen mit dem Gesundheitsminister geplant. Auch die Datenschutzbehörde untersucht die Praxis.

Elisa Ercoli, Präsidentin von Differenza Donna, spricht von einem „hässlichen, autoritären Vorgehen“. Das sei eine weitere Ohrfeige ins Gesicht der Frauen in dem katholisch geprägten Land.

Seit 1978 erlaubt das Gesetz in Italien eine Abtreibung in den ersten 90 Tagen der Schwangerschaft. Ärzte dürfen den Eingriff jedoch aus Gewissensgründen verweigern. 70 Prozent der Gynäkologen machen von diesem Recht Gebrauch, weshalb es in manchen Gegenden schwierig ist für Frauen, einen Arzt für eine Abtreibung zu finden.

Ihre Organisation habe auf dem Flaminio-Friedhof Kreuze mit den Namen von Frauen gefunden, die zwischen 2017 und 2020 abgetrieben haben, sagt Ercoli. Laut den Recherchen von Differenza Donna gibt es diese Art der Bestattung bereits seit mindestens 2005. Im norditalienischen Brescia wurde ein weiteres derartiges Gräberfeld auf einem Friedhof entdeckt. 

Gemäß einem Gesetz von 1990 müssen die Krankenhäuser Föten bis zu einem Alter von 19 Wochen verbrennen. Ab der 20. Woche dürfen die Kliniken die Föten Bestattern übergeben – auch ohne Einwilligung der Eltern. Die Personalien müssen jedoch vertraulich behandelt werden.

Für die Friedhöfe ist in Rom das Abfallbeseitigungsamt AMA zuständig. Der Embryo sei nach Anweisung des Krankenhauses bestattet worden, in dem die Abtreibung stattfand, teilte die Behörde nach der ersten Veröffentlichung auf Facebook mit.

Francesca hatte sich für eine Abtreibung im sechsten Monat entschieden, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Kind einen schweren Herzfehler hat. Während der letzten Wehen habe sie Papiere unterschreiben müssen, obwohl sie sie nicht gelesen hatte, erinnert sie sich. 

Nach der Abtreibung habe sie drei Mal gefragt, was mit ihrem toten Kind passiere, habe aber keine Antwort erhalten. Nicht nur die Entdeckung des Grabes habe sie schockiert, sagt Francesca. Auch das Kreuz, denn das entspreche nicht ihrem Glauben.

In Italien erhalten Kinder bei der Geburt automatisch den Nachnamen ihres Vaters. „Aber wenn eine Frau abtreibt, dann zählt ihr Name“, sagt Francesca. „Meinen Namen auf dem Kreuz zu finden, war wie ein Zeichen der Bestrafung für mich.“

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