Michael Müller: Bürgermeister auf Abruf wird zur Schlüsselfigur in der Pandemie

Rotes Rathaus, Berlin
Rotes Rathaus, Berlin

Eigentlich ist Michael Müller ein Regierungschef auf Abruf: Berlins Regierender Bürgermeister verzichtete auf eine erneute Kandidatur bei der Wahl im kommenden Jahr, nachdem die ohnehin schwächelnde Hauptstadt-SPD unter seiner Führung in den Umfragen noch tiefer absackte. Doch die Corona-Pandemie katapultierte das spröde Stadtoberhaupt in die vorderste Front der Politik: Als Chef der Ministerpräsidentenkonferenz muss er die Linie der Länder in der Krise koordinieren.

Müller, der seit 2014 als Regierungschef im Roten Rathaus residiert, hatte gerade in der Corona-Pandemie lange einen schweren Stand: Als nach dem Sommer die Corona-Zahlen bundesweit in die Höhe schnellten, war die Hauptstadt ganz vorne mit dabei. Bilder von feiernden Hauptstadt-Kids gingen durch die Republik, und in der rot-rot-grünen Regierungskoalition der Hauptstadt fiel die Einigung auf Corona-Maßnahmen schwer. 

Schließlich ätzte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) öffentlich gegen die laxe Handhabe der Maskenpflicht in Berliner Restaurants. Der Regierende reagierte gereizt: Besser wäre gewesen, wenn Spahn „darum gekämpft hätte, dass alle in der Kneipe Maske tragen“, keilte Müller zurück.

Deutliche Worte fand der eher für leise Töne bekannte Nachfolger des schillernden Langzeit-Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) auch nach der ergebnislosen Bund-Länder-Konferenz vom 16. November: Öffentlich prangerte er an, dass das Kanzleramt eine umstrittene Vorlage für weitere Corona-Maßnahmen erst am Vorabend der Beratungen vorlegte – und versprach, es selbst besser zu machen.

Schließlich gelang es dem 55-jährigen Müller, durch Koordinierung unter den 16 Ländern eine Vorlage zusammenzuschustern. Die wurde trotz einiger Nachbesserungswünsche – etwa von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) – Grundlage für die Bund-Länder-Beratungen am Mittwoch.

Es sind die letzten Gelegenheiten für den gelernten Bürokaufmann, sich als Landesregierungschef zu bewähren. Seine Nachfolge im Roten Rathaus strebt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) an, im kommenden Herbst wird dann in Berlin neu gewählt – solange ist er auch noch Chef der Ministerpräsidentenkonferenz.

Müller nimmt derweil Kurs auf den Bundestag – aber auch das gestaltet sich holprig. In seinem Heimatwahlkreis Tempelhof-Schöneberg bekam er Konkurrenz vom scheidenden Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert und wich auf den Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf aus. Und auch dort setzte er sich erst in einer Kampfkandidatur gegen seine Staatssekretärin Sawsan Chebli durch.

Die Bundespolitik wird für den langjährigen Weggefährten Wowereits komplettes Neuland sein – denn er hat quasi die Landespolitik von der Pieke auf gelernt. Als selbstständiger Drucker zog er 1966 erstmals ins Berliner Abgeordnetenhaus ein, wo er nach der Wahl Wowereits zum Bürgermeister 2001 SPD-Fraktionschef wurde. Drei Jahre später übernahm er zusätzlich den SPD-Landesvorsitz, den er nach innerparteilicher Kritik 2012 wieder verlor – und 2016 zurückeroberte. 

Im selben Jahr musste Müller als Bürgermeister erstmals eine Abgeordnetenhauswahl bestehen – und mit einem Ergebnis von nur 21,6 Prozent schmerzliche Verluste hinnehmen. Weil seine heutigen Koalitionspartner Grüne und Linke mit jeweils gut 15 Prozent nur unwesentlich schwächer abschnitten, gestaltet sich das Regieren in dem Dreierbündnis schwierig. 

Den jüngsten Umfragen zufolge könnte die SPD bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl, die zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfinden soll, noch schwächer als bei der vorherigen Wahl abschneiden. Von beiden Urnengänge ist Müller betroffen – keine rosigen Aussichten für den „Regierenden“ im Wahljahr.

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