Ein Mammutverfahren gegen die Mafia-Krake aus Kalabrien

Die Justitia - ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit
Die Justitia - ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit

Es ist einer der größten Mafia-Prozesse in Italien seit Jahrzehnten. In der süditalienischen Region Kalabrien stehen ab Mittwoch hunderte Mitglieder und Komplizen der dort beheimateten ‚Ndrangheta-Mafia vor Gericht, von denen einige in Deutschland festgenommen worden waren. Die Liste der Angeklagten, darunter Politiker, Anwälte und Geschäftsleute, zeigt, wie tief verwurzelt die ‚Ndrangheta in Kalabrien ist. Umso bemerkenswerter ist, dass die Anklage 58 Zeugen präsentiert, die bereit sind, ihr Schweigegelübde gegenüber der ‚Ndrangheta, die sogenannte Omerta, zu brechen.

Drei Stunden dauerte es allein, als kürzlich die Namen der Angeklagten verlesen wurden, die sich wegen Verbrechen wie Mord, versuchtem Mord, Drogenhandel, Amtsmissbrauch und Geldwäsche verantworten müssen. Der gigantische Prozess mit 355 Angeklagten, rund 400 Anwälten und mehr als 900 Zeugen der Anklage dürfte mehr als zwei Jahre dauern.

Er findet in einem eigens dafür ausgestattetem Gebäude im kalabrischen Lamezia Terme statt. Im Visier ist nur einer der vermutlich hunderten ‚Ndrangheta-Clans, die Familie Mancuso und ihre Handlanger.

Zu den Angeklagten gehört Clan-Chef Luigi Mancuso, genannt „Der Onkel“. Auch die Spitznamen anderer Angeklagter klingen wie die Protagonatisten eines Hollywood-Mafiafilms: „der Wolf“, „Blondie“ oder „die Wringmaschine“. Die meisten Angeklagten waren im Dezember 2019 bei koordinierten nächtlichen Razzien in Italien, Deutschland, der Schweiz und Bulgarien festgenommen worden.

Der Prozess ist eine Machtdemonstration des Staates gegen die ‚Ndrangheta-Krake, die tonnenweise Kokain nach Europa schmuggelt und ihre Tentakeln in alle Welt ausstreckt. Diese Machenschaften will der berühmte Anti-Mafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri, der bereits seit mehr als 30 Jahren unter Polizeischutz steht, nun beleuchten.

Als Kind spielte der heute 62-Jährige mit einigen, die er später wegen ihrer Mafia-Aktivitäten hinter Gitter brachte, Fußball. Er hat sich vorgenommen, „diese erstickende ‚Ndrangheta, die wirklich den Menschen den Atem und den Herzschlag nimmt“, zu zerschlagen.

Die Größe des nun beginnenden Prozesses wird nur durch Italiens ersten „Maxi-Prozess“ übertroffen, der 1986/87 in Palermo gegen die sizilianische Cosa Nostra geführt worden war. Damals wurden 338 Angeklagte verurteilt. Die beteiligten Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino wurden später von der Mafia ermordet.

Auch wenn sich der Prozess in Lamezia Terme auf eine der ‚Ndrangheta-Familien beschränkt, ist er von großer Bedeutung, wie der Kriminologe Federico Varese von der Universität Oxford sagt. Er verweist auf die Anklagen gegen zahlreiche Politiker, Juristen, Verwaltungsangestellte und Unternehmer.

Der Prozess zeige, „dass es eine Gesellschaft außerhalb der kriminellen Organisation gibt, die konspiriert und hilft“, hebt Varese hervor. Es sei „schockierend, dass es eine so tief in einem Gebiet verwurzelte kriminelle Gruppe gibt, dass man hunderte Menschen vor Gericht stellen muss“.

Die Zahl der Angeklagten steigt sogar auf über 400, wenn die gut 90 Beschuldigten mitgezählt werden, die sich für Schnellverfahren entschieden haben. Zu ihnen zählt der erfolgreiche Strafverteidiger und Ex-Parlamentarier Giancarlo Pittelli von Silvio Berlusconis Partei Forza Italia. Er weist die Vorwürfe zurück, er habe als Mittelsmann zwischen der ‚Ndrangheta und der Politik, Banken und anderen Institutionen wie Gerichten fungiert.

Die Maxi-Prozesse gegen die Mafia sind nicht unumstritten wegen der Schwierigkeit, jedem der vielen Angeklagten ein faires Verfahren zu ermöglichen. Die Staatsanwälte argumentieren aber, die weitverzweigten Aktivitäten der ‚Ndrangheta ließen sich schwerlich in vielen kleinen Prozessen verhandeln.

Für Staatsanwalt Gratteri steht bei dem Mammutverfahren viel auf dem Spiel. „Wenn es ihm nicht gelingt, viele Leute verurteilen zu lassen, wird der Prozess als Flop betrachtet“, sagt der Strafverteidiger Nicola La Torta.

Aber selbst viele Hafturteile wären mitnichten das Ende der ‚Ndrangheta, wie der Kriminologe Varese betont. „Man kann sie ins Gefängnis werfen, aber wenn man nicht die Wurzeln für ihre Existenz entfernt, wird sie sich erneuern.“

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