Europäische Staatsanwaltschaft erwartet tausende Betrugsfälle pro Jahr

EuGH/Justitia
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Die Europäische Staatsanwaltschaft hat am Dienstag ihre Arbeit aufgenommen, um grenzüberschreitend gegen Straftaten zu Lasten des EU-Haushaltes vorzugehen. Behördenleiterin Laura Codruta Kövesi sprach in Luxemburg von einem „historischen Moment“. Sie verwies auf einzigartige Ermittlungsbefugnisse der Behörde in den Mitgliedstaaten und rechnete fortan mit mehr aufgedeckten Betrugsfällen – auch wegen der Gelder aus dem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Hilfsfonds der EU.

Nach jahrelanger Vorbereitung soll die Luxemburger Behörde Delikte wie Korruption, Geldwäsche, Subventionsbetrug oder die Veruntreuung von EU-Geldern verfolgen. Hinzu kommt der Kampf gegen grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug. Die Staatsanwaltschaft kann dabei auf nationaler Ebene selbst Ermittlungen führen, Haftbefehle beantragen und Anklage erheben.

Die Staatsanwaltschaft sei damit einzigartig, sagte Kövesi. Sie sei „das erste scharfe Instrument, um die Rechtsstaatlichkeit in der EU zu verteidigen“. Die Behörde werde jährlich Entscheidungen zu tausenden Fällen treffen. Denn tatsächlich sei Wirtschafts- und Finanzkriminalität „die häufigste Bedrohung für jede demokratische Gesellschaft“.

Durch den milliardenschweren Corona-Hilfsfonds gebe es in den kommenden Jahren „ein höheres Risiko“ für Betrugsdelikte mit EU-Geldern, sagte die frühere rumänische Korruptionsbekämpferin. Sie erwarte dabei insbesondere Fälle „im Gesundheitssystem, der Landwirtschaft, Investitionen und öffentlicher Beschaffung“.

Aber schon die Staatsanwaltschaft an sich werde zu einer höheren Zahl von aufgedeckten Betrugsfällen führen, sagte die Generalstaatsanwältin. Sie verwies dabei auf bisher große Unterschiede zu gemeldeten Fällen in den EU-Ländern. „In einigen Mitgliedstaaten hatten wir nur fünf oder sechs, in anderen Mitgliedstaaten hunderte.“ Mit der Staatsanwaltschaft „werden wir das ändern. Es ist offensichtlich, dass die Fallzahlen steigen werden.“

Die Vize-Präsidentin der EU-Kommission, Vera Jourova, verwies darauf, dass 2019 durch Betrug mit EU-Geldern ein Schaden von 460 Millionen Euro entstanden sei. Bei grenzüberschreitendem Mehrwertsteuerbetrug liegen die Schätzungen in der EU bei 30 bis 60 Milliarden Euro pro Jahr.

An der Staatsanwaltschaft nehmen bisher aber erst 22 der 27 EU-Mitgliedstaaten teil. Nicht dabei sind Dänemark, Irland, Polen, Schweden und Ungarn. Justizkommissar Didier Reynders äußerste die Hoffnung, dass weitere Länder beitreten. Denn der Schutz des EU-Haushaltes betreffe alle Mitgliedstaaten, sagte er in Luxemburg.

Schon zum Start leidet die Staatsanwaltschaft aber unter Personalmangel. Von 140 vorgesehenen delegierten Staatsanwälten, die in den Mitgliedstaaten die Ermittlungen führen, sind bisher erst 88 ernannt. Finnland und Slowenien haben noch keinen einzigen Ermittler vorgeschlagen.

In der Luxemburger Zentrale geht die Behörde eigentlich von einem Personalbedarf von 290 Stellen aus, um ausreichend Finanzanalysten und andere Experten zur Verfügung zu haben, wie der aus Deutschland stammende stellvertretende Generalstaatsanwalt, Andrés Ritter, am Montag sagte. Bewilligt wurden demnach bisher aber nur 130 Stellen.

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