Vor dem Nachfolger des Internationalen Strafgerichtshofs für Ex-Jugoslawien in Den Haag fällt am Dienstag das Urteil im Berufungsverfahren des früheren bosnisch-serbischen Armeechefs Ratko Mladic. Der 2017 wegen Völkermords zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilte 78-Jährige weist sämtliche Vorwürfe gegen sich zurück und fordert seinen Freispruch. Angehörige der Opfer des Massakers von Srebrenica hoffen dagegen auf einen Schlussstrich unter den langen Prozess – und auf einen endgültigen Schuldspruch für Mladic.
Mladic, der wegen seiner Rolle im Bosnienkrieg (1992-1995) in den Medien immer wieder als „Schlächter vom Balkan“ bezeichnet wird, hatte seine Verurteilung wegen Völkermords sowie wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angefochten und auf Freispruch plädiert. Die Richter in Den Haag sahen es als erwiesen an, dass Mladic während des Bosnienkriegs „ethnische Säuberungen“ organisierte. Sein Ziel war es laut dem Urteil, bosnische Muslime aus strategisch wichtigen Regionen zu vertreiben, um nach dem Zerfall Jugoslawiens ein Groß-Serbien zu errichten.
Die Beweislast gegen Mladic im Kriegsverbrechertribunal war erdrückend. Unter Mladics Führung hatten bosnisch-serbische Truppen die als UN-Schutzzone deklarierte Stadt Srebrenica im Juli 1995 nahezu kampflos eingenommen. Um Mladics persönliche Verantwortung für das Massaker von Srebrenica nachzuweisen, präsentierte die Staatsanwaltschaft Videoaufnahmen, auf denen der damalige General beim Verteilen von Süßigkeiten an Kinder in Srebrenica zu sehen war, bevor diese mit ihren Müttern in Bussen weggebracht wurden. Unmittelbar darauf führten bosnisch-serbische Soldaten die Väter und Söhne der Familien ab und erschossen sie in einem nahegelegenen Wald.
Insgesamt wurden bei dem Massaker von Srebrenica 8000 Männer und Jugendliche ermordet. Die systematische Hinrichtung der muslimischen Männer und Jungen war das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Mladic tauchte nach dem Ende des Bosnienkriegs zunächst unter, erst 2011 wurde er gefasst.
Zu Beginn des Berufungsprozesses im August des vergangenen Jahres behauptete Mladic, „in den Krieg gedrängt“ worden zu sein. Das Haager Tribunal bezeichnete er als „Kind der westlichen Mächte“ und als „satanisch“.
Auf Gerechtigkeit hoffen am Dienstag die Hinterbliebenen der Opfer des Massakers von Srebrenica. „Wir werden nach Den Haag kommen, um dem Henker einmal mehr in die Augen zu sehen, wenn er endgültig verurteilt wird“, sagte Munira Subasic, Vorsitzende einer der unter dem Dach der „Mütter von Srebrenica“ aktiven Organisationen, die sich für eine Aufarbeitung der Verbrechen während des Bosnienkriegs einsetzen.
Subasic hofft zudem auf eine zusätzliche Verurteilung Mladics wegen Völkermordes an den bosnischen Muslimen. „Dieser Schuldspruch ist nicht nur wichtig für die Opfer und Überlebenden“, sagte sie. „Es ist sehr wichtig für die Zukunft unserer Kinder, für unser aller Zukunft.“
Der Haager Chefankläger Serge Brammertz sagte im Vorfeld der Urteilsverkündung, er sei „vorsichtig optimistisch“. Er könne sich „kein anderes Ergebnis als die Bestätigung“ des bestehenden Urteils gegen Mladic vorstellen.
Insgesamt wurden im Bosnienkrieg 100.000 Menschen getötet, 2,2 Millionen weitere mussten fliehen. Als Hauptverantwortliche für die zwischen 1992 und 1995 begangenen Verbrechen gelten neben Mladic der damalige Serbenführer Radovan Karadzic und der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic. Karadzic verbüßt derzeit eine lebenslange Haftstrafe wegen Völkermords und Kriegsverbrechen. Milosevic starb 2006 in einer Gefängniszelle an einem Herzinfarkt, bevor es zu einem Urteil gegen ihn kommen konnte.
Trotz der Schuldsprüche werden Mladic und Karadzic von vielen bosnischen Serben bis heute verehrt. „Jeder hier ist stolz darauf, dass er von hier kommt“, sagte Radosav Zmukic, ein Bewohner von Mladics Heimatort Kalinovik. „Beide Seiten haben Verbrechen begangen“, meinte er. Mladic aber sei nicht dazu in der Lage gewesen, „die Ermordung von Menschen anzuordnen, vor allem nicht von Zivilisten“.