Entscheidungen des rumänischen Verfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit der Besetzung des obersten Gerichts können mit dem EU-Recht vereinbar sein. Das gelte aber nicht für Beschlüsse, die den Schutz der finanziellen Interessen der EU beeinträchtigen können, argumentierte der zuständige Generalanwalt am Donnerstag im Europäischen Gerichtshof (EUGH) in Luxemburg in seinen Schlussanträgen. Das oberste rumänische Gericht hatte den EuGH gefragt, ob es bestimmte Entscheidungen des Verfassungsgerichts beachten müsse. (Az. C-357/19 u.a.)
Das oberste Gericht muss unter anderem über Korruptionsfälle entscheiden, die teils auch EU-Gelder betreffen. Es zweifelt an der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts.
Allein die Tatsache, dass die dortigen Richter auch von politischen Institutionen ernannt werden, sei aber nicht problematisch, befand Generalanwalt Michal Bobek. In den vorliegenden Rechtssachen habe sich nichts ergeben, was ihn an der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts zweifeln ließe.
Das oberste Gericht hatte konkret nach einer Entscheidung von 2018 gefragt, in der das Verfassungsgericht festgestellt hatte, dass einige Spruchkörper des obersten Gerichts nicht ordnungsgemäß besetzt seien. Begründet wurde dies mit der Verletzung des Rechts auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht.
Hier hätten die Mitgliedsstaaten allerdings einen Ermessenspielraum, argumentierte Bobek. Würden ernsthafte und vernünftige Standards angewandt, sei eine solche Entscheidung mit dem Unionsrecht vereinbar.
Ähnlich schätzte er eine zweite fragliche Entscheidung von 2016 ein. Diese verbot die Beteiligung von Inlandsgeheimdiensten an technischen Überwachungsmaßnahmen bei Ermittlungen – was zum Ausschluss so erlangter Beweise aus dem Verfahren führte.
Auch dies sei nicht vollständig durch EU-Recht geregelt, weswegen ein nationales Verfassungsgericht hier entscheiden könne, schrieb der Generalanwalt. Auswirkungen auf bereits laufende und künftige Korruptionsverfahren seien eine logische Folge.
Anders betrachtet er eine dritte Entscheidung des rumänischen Verfassungsgerichts von 2019. Auch hier ging es um die Besetzung des obersten Gerichts. Das Verfassungsgericht erklärte für Korruptionsfälle zuständige Spruchkörper für rechtswidrig mit der Begründung, dass diese nicht darauf spezialisiert seien, obwohl die Richter über eine solche Spezialisierung verfügten.
Hier formulierte Bobek Bedenken. Aufgrund der Entscheidung müssten zahlreiche Fälle neu verhandelt werden. Da Korruptionsdelikte sehr komplex seien, seien große Auswirkungen zu erwarten.
Er schlug dem EuGH vor zu entscheiden, dass das EU-Recht diese Neuregelung verbiete, wenn sie die systemische Gefahr mit sich bringe, dass Delikte zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU unbestraft blieben. Ein nationales Gericht könne die Entscheidung eines Verfassungsgerichts ignorieren, wenn es dies für notwendig halte, um EU-Vorschriften einhalten zu können.
Die europäischen Richter müssen dem Gutachten des Generalanwalts in ihrem Urteil nicht folgen, tun dies aber häufig. Ein Urteilstermin stand noch nicht fest.
Zu anderen, grundsätzlicheren Fragen der rumänischen Justizreform hatte Bobek im September bereits ein Gutachten vorgelegt. Darin argumentierte er, dass das Land nachbessern müsse, weil einige Maßnahmen gegen europäisches Recht verstießen. Rumänien kündigte im Herbst Änderungen bei der Reform an.