„Geschenkte“ Sitze für die Union und begrenzter Effekt bei der Mandatszahl

Bundestag von außen
Bundestag von außen

Nach langem Streit haben sich Union und SPD auf eine Wahlrechtsreform verständigt, mit der sie in zwei Schritten ein weiteres Aufblähen des Parlaments verhindern wollen. Zunächst soll es für die Wahl 2021 eine Übergangslösung geben, für eine spätere umfassende Reform soll eine Kommission Empfehlungen vorlegen. Auf Widerstand bei der Opposition stößt besonders ein Passus, der CDU und CSU einen Mandatsvorteil bescheren dürfte.

Was ist das Problem?

Schon jetzt ist der Bundestag wesentlich größer, als er sein soll. Statt der gesetzlich vorgesehenen 598 zählt das Parlament derzeit 709 Mitglieder. Nach der nächsten Wahl könnten es noch mehr werden. Das liegt vor allem an den Überhang- und Ausgleichsmandaten.

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktkandidaten in den Bundestag bringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis eigentlich zustehen würden. Damit die Überhangmandate das Zweitstimmenergebnis nicht verzerren, bekommen die anderen Parteien dafür Ausgleichsmandate.

Welche Lösung schlagen Union und SPD für 2021 vor?

Drei Überhangmandate sollen nicht mehr ausgeglichen werden. Da nach jetzigen Stand voraussichtlich CDU und CSU diese Mandate erhalten dürften, würden sie also drei Sitze im Bundestag mehr erhalten, als ihrem Anteil an den Zweitstimmen entsprechen würde. Dies soll auch über 2021 hinaus dauerhaft gelten.

Zudem wollen Union und SPD den komplizierten Verrechnungsmodus einschränken, der bislang über so genannte Sitzkontingente dafür sorgt, dass Überhangmandate nicht den Länderproporz bei der Mandatsverteilung zu sehr beeinflussen. 

Die Koalition kann ihr Modell mit einfacher Mehrheit im Bundestag durchsetzen. Allerdings gilt wegen der weitreichenden Bedeutung eine Einbindung der Opposition eigentlich als wünschenswert.

Welche Lösung plant die Koalition längerfristig?

Ab der Wahl 2025 soll die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 280 sinken. Dies soll bereits jetzt festgeschrieben werden. Die Zahl der Überhangmandate dürfte sich dadurch noch einmal etwas verringern.

Zudem soll noch in der laufenden Wahlperiode eine Kommission eingesetzt werden, die bis Mitte 2023 Vorschläge für weitere Reformschritte vorlegen soll, etwa für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sowie Maßnahmen zugunsten einer gleichberechtigten Vertretung von Frauen und Männern im Bundestag. Bei diesen Beratungen sollen auch die Opposition sowie externe Experten einbezogen werden. Die Punkte Überhangmandate und Zahl der Wahlkreise sollen aber nicht mehr Gegenstand der Kommissionsberatungen sein, hieß es aus der Union.

Was ist die Haltung der Opposition?

FDP, Linke und Grüne kritisieren eine Verzerrung des Wahlergebnisses, weil die Mandatszahl nicht mehr das Zweitstimmenergebnis widerspiegelt. Die Änderung oder Abschaffung des Verrechnungsverfahrens für den Länderproporz wird zwar auch von ihnen befürwortet, sie wollen dies aber mit einer stärkeren Verringerung der Zahl der Wahlkreise schon ab 2021 verbinden.

Ein gemeinsamer Gesetzentwurf der drei Oppositionsfraktionen sieht eine Wahlkreiszahl von 250 vor, was die Wahrscheinlichkeit von Überhangmandaten deutlich stärker verringern würde als das Vorhaben der Koalition.

Die AfD schlägt stattdessen eine Deckelung der Zahl der Direktmandate vor. Eine Partei soll nur noch so viele Direktmandate pro Bundesland erhalten, wie es ihrem Zweitstimmenanteil dort entspricht, einige Wahlkreisgewinner kämen also nicht zum Zuge. Eine solche Kappung hatte auch die SPD als Übergangslösung ins Gespräch gebracht, die Union lehnte dies jedoch ab.

Wie sehr wirken die Koalitionsvorschläge dämpfend auf die Zahl der Bundestagsmandate?

Dies lässt sich nicht genau beziffern, da es stark vom Wahlergebnis abhängt. Nach ersten Berechnungen des Stuttgarter Mathematikers Christian Hesse würde eine Anwendung des Koalitionsmodells auf das Wahlergebnis von 2017 die Mandatszahl im Bundestag nur um 19 verringern. Die Sollzahl von 598 würde also weiterhin massiv überschritten.

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